Hat die AfD Kai Wegner zum Sieg verholfen? Unklar. Dass die Behauptung aber allein schon ausreicht, um die Berlin ins Chaos zu stürzen, ist ein schlechtes Zeugnis für den Zustand unserer Politik. Die AfD hat längst eine mystische Macht über die demokratischen Prozesse der Bundesrepublik.
Ein blaues Auge bei Amtsantritt: Erst im dritten Wahlgang konnte Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Doch die nächste Knaller-Meldung folgte auf den Fuß: Nach der Wahl erklärte die AfD, sie habe Kai Wegner gewählt und damit ins Amt verholfen.
Stimmt das? Das ist fast unmöglich, zu sagen. Denn die Wahl lief geheim ab. Dennoch sprangen Grüne, Linke und Teile der SPD in gut geübter Empörungskultur über das Stöckchen, das die AfD Ihnen hinhielt. Eine „irreparable Katastrophe“ nannte SPD-Politikerin Sawsan Chebli allein den Verdacht, Wegner könnte mit Stimmen der AfD ins Amt gekommen sein. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sprach von einem „Schaden für die Demokratie“, ihr Parteifreund Jan-Phillip Albrecht nannte es „ein Vergehen an den Grundwerten unserer demokratischen Gesellschaft“.
Nicht nur Stimmen der AfD, nein, gar der Verdacht auf AfD-Stimmen reicht aus, damit Politiker unser Demokratie schweren Schaden attestieren. Sind Stimmen der AfD so giftig? Oder ist unsere Demokratie so schwach?
Die AfD-Hysterie macht AfD-Stimmen mächtig
Keines von beidem. AfD-Abgeordnete sind Volksvertreter wie alle anderen Abgeordneten auch – sie haben das Recht und die Pflicht, ihre Wähler zu repräsentieren. Ihre Präsenz in den Parlamenten ist daher nicht nur ein notwendiges Übel, sondern auch Essenz der Demokratie. Dass die Stimmen der AfD scheinbar so mächtig sind, liegt vor allem an Politikern, die diese Stimmen hysterisch mit einer Bedeutung aufladen, die sie schlicht nicht haben. Es ist nicht „undemokratisch“, wie einige Kommentatoren meinten, mit den Stimmen der AfD gewählt zu sein. Es ist auch kein „Dammbruch“ und kein „Sündenfall“. Dass Linke und Grüne das insgeheim wissen, zeigen diverse Beispiele: 2021 wurde zum Beispiel in Berlin-Pankow der Linken-Politiker Sören Benn als Bezirksbürgermeister ins Amt gewählt. Die AfD erklärte glaubwürdig, sie habe Benn unterstützt. Er blieb im Amt. Im Saarland verhinderte eine AfD-Stimme die Abwahl einer Grünen Stadträtin. Auch sie blieb im Amt. Richtig so – denn das ist parlamentarische Demokratie.
Stimmen der AfD sind am Ende auch nur das – Stimmen. Sie haben keinen mystischen Zauber, keine dunkle, antidemokratische Magie und kein Gift an sich. Denn wohin würde es führen, wenn eine AfD-Stimme jede demokratische Wahl in Zweifel ziehen würde? Wäre Olaf Scholz kein legitimer Kanzler mehr, wenn AfD-Abgeordnete erklären, sie hätten für ihn gestimmt und ihm zur Mehrheit verholfen? Und wenn die AfD einen Kandidaten nicht wählt und er verliert – hat die AfD dann seine Wahl verhindert? Dieser Logik folgend könnte die AfD aus jeder möglichen Wahl eine Staatskrise machen – und das nur, weil linke Hysteriker mit der Verlässlichkeit eines Schweizer Uhrwerks über ihr Stöckchen springen.
Etwas mehr Unaufgeregtheit würde nicht nur dem politischen Prozess guttun: Es würde auch die Pläne der AfD durchkreuzen. Und das muss für all jene, die diese Partei zum Bösen schlechthin erklären, doch das oberste Ziel sein – oder nicht?