Alle vorgeschobenen Gründe für die Wahlrechtsreform werden Makulatur, als Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann die wahre Motivation des Gesetzes herausrutscht: Es geht um die Stärkung der Ampel im Vergleich zur Opposition.
Ein dem Anlass unwürdiges Schauspiel bot sich vergangenen Freitag im Bundestag. Zum Schluss änderte die Ampel-Koalition mit Koalitionsmehrheit das Wahlrecht – gegen scharfe Kritik aus der Opposition. Eine Wahlrechtsreform, die entlang von Parteilinien und gegen den lauten Protest mehrerer Oppositionsparteien durchgedrückt wurde und vor allem, so scheint es, auf genau diese abzielen sollte.
Versuche der Unionsfraktion, in letzter Sekunde doch noch eine gemeinsame Einigung zu erzielen, wurden zurückgewiesen. Die Kanzlerpartei schlug die Hand von Friedrich Merz aus: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zeigte dem Oppositionsführer die kalte Schulter. Ein Moment, der Wunden hinterlassen wird. Dabei ist das Wahlrecht, gerade in unser sehr repräsentativ aufgebauten Demokratie, fast heilig: Wer daran herumwerkelt, muss sich immer Vorwürfe gefallen lassen. Grund genug also, Vorsicht walten zu lassen – eigentlich wäre es geboten, nach dieser hochumstrittenen Reform die Wogen zu glätten. Stattdessen entschied sich die Ampel, mit ihrer polarisierenden und parteipolitisch motivierten Reform viel demokratisches Porzellan zu zerschlagen.
Dass es dabei nicht um die vielen vorgeschobenen Argumente, sondern eben um Parteipolitik geht, wird spätestens offensichtlich, als die Fraktionsvorsitzende der Grünen das Wort ergreift. In einem lauten, wütenden Beitrag teilt Britta Haßelmann vor allem gegen die CSU aus. Die, das ist offensichtlich, ist das wahre Ziel dieser Reform. Man wolle sich von einer Regionalpartei nicht das Wahlrecht diktieren lassen, pöbelt Haßelmann in Richtung der bayerischen Unionspartei. Nur diese Rede vom vergangenen Freitag reichen, um klarzumachen: Hier geht es um die Abstrafung einer einzigen politischen Kraft.
Dieser Satz offenbart: Für die Ampel geht es um Machterhalt
Dann rutscht ihr ein Satz raus, der die wahre Motivation des Vorhabens enttarnt. Mit dem jetzigen Wahlrecht könnte es sein, dass die Ampel ihre Mehrheit verliere, warnt Haßelmann – und führt das als Argument für die Reform an. Gelächter und laute Rufe aus den Reihen der Opposition: Hier hat sich die Grünen-Politikerin selbst demaskiert.
Die Mehrheit der Ampel sichern: Dieser Satz gibt sich alle vorgeschobenen Gründe der Lächerlichkeit preis. Geld einsparen wolle man, behauptet die Ampel beispielsweise: Unfug, wenn doch gleichzeitig hundert Millionen für neue Stellen in diversen Ministerien ausgegeben werden. Tatsächlich geht es um eines: Die Stärkung der Ampel-Parteien im Vergleich zur CDU/CSU. Dass man die Linke dabei noch rauskegelt, ist vielleicht ein angenehmer Nebeneffekt für manche. Eine solche Reform würde – wenn sie ein Land wie Ungarn oder Polen umsetzte – ironischerweise genau die „Demokratiewächter“ von SPD, Grünen und FDP auf den Plan rufen, die diese jetzt im Bundestag ohne Rücksicht auf Verluste erzwungen haben.
Die Ampel macht sich das Parlament zur Beute
Der Machtrausch, mal eben die größte Oppositionspartei politisch verstümmelt zu haben, steigt manchen Rot-Grün-Gelben offenbar zu Kopfe: Schon preschen Vertreter der Ampel-Parteien mit neuen Forderungen vor. Diese Wahlrechtsänderung soll erst der Anfang gewesen sein. Ausgerechnet Bundestagspräsidentin Bärbel Bas machte keine 24 Stunden nach der Abstimmung im Bundestag den nächsten Aufschlag. „Mein persönlicher Wunsch ist es, in dieser Wahlperiode noch ein Paket zum Wahlrecht zu schnüren“, sagte Bas den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Wochenende. Darin könnten „neben der Parität im Bundestag das Wahlrecht ab 16 und eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre enthalten sein“, erläuterte die Parlamentspräsidentin. Das Wahlrecht ab 16 ist auch ein Koalitionsvorhaben der Ampel. Noch bevor das Verfassungsgericht die jetzige Wahlrechtsreform bewertet hat, spricht man in der Ampel schon von der nächsten Reform: Dass dieser Vorschlag ausgerechnet von der Bundestagspräsidentin kommt, sorgt zurecht für Irritationen.
Die Kritik der Ampel-Parteien an vorangegangenen Vorschlägen der Union mag berechtigt sein – den „Sündenfall“ einer Wahlrechtsänderung in dieser Art muss sich die Ampel trotzdem ankreiden lassen. Entlang von Parteitaktik und mit einer solchen Polemik – das ist Brunnenvergiftung in einer Demokratie, die auf die Legitimität ihrer repräsentativen Institutionen in den Augen der Bürger dringend angewiesen ist. Jetzt das Tor zu weiteren, teils hochideologisierten Änderungen aufzustoßen, wird die deutsche Demokratie am Ende schwer beschädigen. Weniger Wählerbeteiligung bei einer Legislaturperiode von fünf Jahren? Eine Wahlalter-Absenkung, die Regierungsparteien nützt und der Opposition schadet? Bei vielen Menschen im Land verfestigt sich der Eindruck: Die Ampel macht sich das Parlament zur Beute.
Bereits jetzt gehen immer weniger Menschen zur Wahl. „Die in Berlin“ vertreten vor allem sich selbst, ist der Eindruck derer, die mittlerweile zur größten „Wählergruppe“ gehören – die der Nichtwähler. Man kann es niemandem zum Vorwurf machen, nach diesem Ampel-Stunt in eben jenes Lager überzulaufen.