Gut vernetzte Journalisten mehrerer linker Zeitungen kassierten staatliche Gelder in Millionenhöhe für ein Mehrfamilien-Haus in Berlin Kreuzberg – und gaben an, selbst dort einzuziehen. Stattdessen vermieteten sie die Wohnungen heimlich und für viel Geld. Sie zogen wohl Mieter über den Tisch und belogen den Staat – während sie in ihrer Journalistischen Arbeit teilweise über Jahrzehnte den kalten, unmoralischen Berliner Wohnungsmarkt anprangerten.
Das Haus in der Oranienstraße 169 ist alt. 160 Jahre alt. Und dennoch ist es jung: An einer der begehrtesten Adressen mitten im Herzen des Berliner Szenestadteils Kreuzberg, mitten im alternativ-urbanen Leben der Hauptstadt steht es mitten in dem Berlin, welches Zugezogene aus Deutschland und der Welt, idealisiert und romantisiert, ihre neue Heimat nennen wollen. Die Wohnungen sind großzügig ausgestattet – für solche Buden zahlt man in Berlin gut und gerne Mieten im oberen, vierstelligen Bereich. Das Haus sollte in den 70ern abgerissen werden – doch es blieb. Pläne änderten sich und bewahrten das alte, baufällige Haus vor dem Ende. Jahre später, Anfang der 90er-Jahre, wird das Haus gekauft. Eine Gruppe linker Journalisten tut sich zusammen, um das Gebäude zu renovieren. Was wie eine normale Geschichte über die lobenswerte Initiative einiger Privatleute klingt, ist nach Recherchen des Spiegels ein handfester Skandal von Korruption, Heuchelei und Abzocke.
Eine Gruppe linker Journalisten kaufte die Oranienstraße 169 für 1,2 Millionen Mark. Ihr Plan: Eine umfassende Sanierung des Gebäudes. Dafür gibt es in den 90ern umfangreich-üppige Förderprogramme des Landes Berlin: Wer alte, marode Häuser kauft und selbst renovieren lässt, kann mit bis zu 85 Prozent Zuschuss zu den Sanierungskosten rechnen. In den Folgejahren bekamen sie so staatliche Zuschüsse in Höhe von über 3,4 Millionen Mark. Die Bedingung: Die sogenannten „Selbsthilfegemeinschaften“ müssen ihr Eigentum selbst bewohnen, dürfen es nicht vermieten.
Doch diese Vorschrift umgehen sie. Sie melden freien Wohnraum auch nicht etwa, wie in den Richtlinien zur Förderung vereinbart, dem Bezirk: Stattdessen werden Wohnungen unter der Hand vermietet. Ein Mieter erzählt, er habe nur einen „mündlichen Mietvertrag“ bekommen, Nebenkosten seien teilweise in bar zu bezahlen gewesen. Nachdem er 10.000 Mark für „Nebenkosten“ wie die Eingangstür abgestottert hatte, wurde seine Miete um 80 Prozent erhöht. Als Meldeadressen dürfen sie die Wohnungen nicht angeben – sonst würde das Geschäft mit dem Förderungsgeld auffliegen. Einer Mieterin sei ein Dreivierteljahr nach ihrem Einzug im Juli 1996 von der Hausverwaltung eröffnet worden, dass sie einen „Mietaufschlag“ zu zahlen habe, und zwar rückwirkend, weil ihre Wohnung luxuriöser saniert worden sei. Er war fast so hoch wie die eigentliche Miete. Statt der versprochenen fünf Mark pro Quadratmeter zahlt sie fast das Doppelte. Anmelden wiederum habe sie sich in ihrer Wohnung nicht dürfen, stattdessen könne sie sich in der Wohnung von Brigitte Fehrle anmelden.
Fehrle war einer der Köpfe der Wohnungs-Masche. „Wir haben uns das schöngeredet“, sagt sie. „Aber wir sind reingelegt worden.“
Die Eigentümer belogen wohl ihre Mieter und den Staat – und sie sind nicht irgendwelche Vermieter. Einige von ihnen sind öffentliche Personen. Sie haben in ihren Texten Steuerhinterziehung und Spekulation kritisiert, über Gier, Gleichgültigkeit und Doppelmoral geschrieben. Bei Ihnen gingen viele ein und aus, die in der linken Politikblase Berlins Rang und Namen haben. Sie schrieben über Landespolitik, leiteten teilweise relevante Zeitungen. So wie Brigitte Fehrle, die es bis zur Chefredakteurin der „Berliner Zeitung“ schaffte.
„Fehrle wohnt seit langem in Berlin-Kreuzberg sowie in ihrer Zweitwohnung, einem renovierten Bauernhaus im Wendland“, heißt es in ihrer Autorenbeschreibung auf der Website des rbb-programms Radio eins – das liest sich vor dem Hintergrund der jüngsten Enthüllungen genauso bemerkenswert wie die zahlreichen Artikel, in denen die Journalistin die Zustände auf dem Wohnungsmarkt anprangerte. „Heute werden dringend Wohnungen, Wohnanlagen, Grundstücke gebraucht, um bezahlbaren innerstädtischen Wohnraum für Mieter zu schaffen“, beklagt Fehrle 2016 in der Berliner Zeitung. „Der Grundstücksverkauf zu Höchstpreisen zieht Höchstpreise bei den Mieten nach sich. Dass Schäuble die Länder jetzt zwingen will, diese falsche Politik fortzusetzen, ist ein Skandal“. In einem Kommentar für die Frankfurter Rundschau beklagt sie 2013: „Der soziale Wohnungsbau der 70er-Jahre hat zu Korruption und einem zeitverzögerten Desaster bei den Mieten geführt.“ Sie prangerte die „Mitnahmementalität“ bei Immobilienförderungen aller Art an – bezeichnete sie als „legale, vom Staat geschaffene Möglichkeiten“, „die die Bürger mehr oder weniger clever, mehr oder weniger skrupellos ausschöpfen“. Zum Verkauf von staatlichen Wohnungen an private Eigentümer durch das Land Berlin Mitte der Nuller-Jahre bemerkte Fehrle: „Der rot-rote Senat hat nur aufs Geld geschaut, statt zu überlegen, wozu ihn sein Eigentum verpflichtet.“ Offenbar kannte die Journalistin all die Jahre die Zustände, worüber sie vorgeblich empört schrieb, aus erster Hand.
Im Sommer 2022 schreiben verschiedene Mieter der Oranienstraße 169 ihre Vermieter an. Sie haben gehört, dass ihr Haus verkauft werden soll. Fehrle und ihre Miteigentümer sind endlich die Frist los, die ihnen den Verkauf des Gebäudes über Jahre verboten hat. 2017 endeten die Verpflichtungen aus dem Fördervertrag. Im Mai 2022 bewilligte das Land nach einer Prüfung die Löschung der im Grundbuch eingetragenen Grundschuld. Damit verwandelte sich das Haus von einem „besonderen wohnungspolitischen Projekt“ wieder in ganz normales Eigentum, bei dem die Eigentümer freie Hand haben.
Und diese freie Hand wollen Fehrle und ihre Mitbesitzer gewinnbringend ausspielen. Sie wollen nicht sagen, wer die Kaufinteressenten sind, und sie wollen nicht diskutieren. „Bitte habt Verständnis, dass eine Begleitung unseres Verkaufsprozesses durch politische Gremien oder Einzelpersonen von uns nicht gewünscht ist“, schreibt Brigitte Fehrle Ende Juli 2022 Mietern, und an alle, dass sich die Eigentümergruppe auf einen Verkauf an einen gemeinwohlorientierten Eigentümer nicht habe einigen können. Nach Spiegel-Schätzung ist die Immobilie heute etwa 12 Millionen Euro wert. Die Journalisten machen zwanzigfachen Gewinn – mit genau der „Mitnahmementalität“ des „skrupellosen Ausschöpfens“, die sie in ihren vielen linken Haltungsbeiträgen so moralisierend anprangerten.