- Klimakleber kleben nicht nur auf der Straße, immer häufiger sitzen die Aktivisten vor Gericht und müssen sich meist wegen Nötigung oder Gefährdung im Straßenverkehr verantworten.
- Ein Tag am Amtsgericht Berlin zeigt: Auf der Anklagebank sitzen junge Menschen aus gutem Hause
- Viele der Aktivisten haben sich zuvor nie etwas zu Schulden kommen lassen – aber offenbar von einer irrationalen Angst getrieben in Konflikt mit dem Gesetz geraten.
Fall 1
Ein junger Mann aus Berlin hatte sich zwei Mal festgeklebt, ein weiteres Mal blieb es beim Versuch. Das Bild einer hageren, aber nachhaltigen Gestalt mit Trecking-Kleidung, Fahrrad-Rucksack und Plastik-Trinkfalsche wird nur durch das MacBook Air aufgebrochen, das auf dem Tisch steht.
Den Apple-Rechner braucht er auch, um den vorbereiteten Text vorzulesen, der mit den Vorwürfen zunächst einmal nichts zu tun hat: Es geht um Hoffnung, die der 27-Jährige angesichts der drohende Klimakatstrophe schon verloren haben will. Die Stimme klingt ängstlich, eben hoffnungslos.
Der Richter hört sich die Texte und Einlassungen geduldig an, sieht den Vorwurf der Nötigung aber dennoch bestätigt: 900 Euro Geldstrafe.
Fall 2
Kurzer Prozess: Die Richterin hätte an diesem Mittwoch zwei Anklagen verhandeln sollen, mindestens fünf weitere stehen aber noch an. Terminverschiebung, damit alle Anklagen gemeinsam verhandelt werden können. Nach drei Minuten ist der Gerichtssaal wieder frei.
Fall 3
Eine junge Frau, gerade 18 Jahre, erfüllt jedes Klischee eine Vorzeige-Klimaaktivistin: Kurzhaarschnitt, Stickkleidung, gutes Elternhaus in Schwaben – Mama Organistin, Papa Gutverdiener am Max-Planck-Institut –, Waldorfschule, Einzelgängerin.
Bis die „Letzte Generation“ kam, ein Vortrag über die Aktionen, ein erster Kontakt. Plötzlich Zugehörigkeit, ein verbindendes Thema, eine „der Situation angepasste Protestform“, wie sie sagt. Auch sie hat einen Text vorbereitet, in dem sie ihre Liebe zur Natur und die Angst um dieselbe beschreibt. Von einem Abgrund, von dem die Menschheit im Begriff zu springen sei, ist die Rede – dass (auch) die schönen Landschaften der fernen USA Teil des Vortrags sind, konterkariert zwar die Aussagen ein wenig, erfüllt aber ein weiteres Klischee.
Der übereifrige Anwalt kann das Anliegen der Klimakleber sichtlich nachvollziehen. Demonstrativ liegt der neon-gelbe Fahrradhelm auf dem Tisch. Unter der Robe ein Outdoor-Fleece. Er sieht natürlich keine Nötigung, sondern einen legitimen Protest für einen günstigen ÖPNV an einem symbolträchtigen Ort. Es geht um nur eine Klebe-Aktion vor dem Berliner Hauptbahnhof. Zwei Polizeibeamte bestätigen als Zeugen den Vorfall.
Der Richter sieht eine Nötigung, spricht die 18-Jährige schuldig, verwarnt sie aber lediglich. In der Hoffnung, wie er sagt, dass sie ihre Angst und ihr Engagement in Zukunft mit demokratischen Mitteln durchsetze – überzeugen sei die Devise, nicht überwältigen.