Am Landgericht Hildesheim in Niedersachsen wird frühestens ab März 2023 ein brisanter Fall verhandelt. Eine nicht geimpfte Pflegekraft soll einen Impfausweis gefälscht haben. Dadurch sei ein mehrfach tödlicher Covid-19-Ausbruch in einem Pflegeheim ausgelöst worden. Dieser habe 3 Todesopfer gefordert.
Justiz der Vernünftigen – oder ein Hexenprozess? Ende vergangenen Jahres wurde die Hildesheimer Staatsanwaltschaft tätig, nachdem eine Altenpflegerin mit einem gefälschten Impfpass im Vitanas Pflege Centrum in Hildesheim gearbeitet hatte. Währenddessen soll sie an Covid-19 erkrankt gewesen sein und die Infektion verbreitet haben – so die Behauptung. Daraufhin seien drei Bewohnerinnen des Pflegeheims an der Krankheit verstorben. Die vermeintlichen Opfer der ungeimpften Pflegerin waren 80, 85 und 93 Jahre alt.
Einrichtungsleiter Michael Ossenkopp sagte der dpa, man habe die Pflegerin fristlos gekündigt, nachdem sich ihr Impfpass als gefälscht herausstellte. Danach erstattete man Anzeige gegen die ehemalige Mitarbeiterin. „Wir treffen sämtliche Maßnahmen, die dazu geeignet sind, die Vorwürfe aufzuklären“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Nach einem Jahr von Ermittlungen und Prüfung durch das Landgericht Hildesheim ist klar: Der Fall wird verhandelt. Die Klage wurde zugelassen, wie ein Sprecher des Landgerichts am 21.11.2022 der Presse mitteilte. Konkret geht es um die Tatbestände der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung.
Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft ist bemerkenswert. Der Tatvorwurf umfasst das Auslösen eines Corona-Ausbruchs in dem Pflegezentrum. Man muss nicht Jura studiert haben um zu verstehen, dass dies schwer zu beweisen ist. Die Behauptung der Anklage: Die Frau sei unbemerkt mit dem Coronavirus infiziert gewesen und habe in einer Kaffeepause zunächst einen Kollegen angesteckt. Nachgewiesen werden soll das mittels einer Genomanalyse, die als „zentrales Beweismittel“ zum Einsatz kommen soll. Velit Tümenci, der Verteidiger der Beschuldigten, sprach von einem fragwürdigen Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Die Anklage beruhe nur auf Vermutungen und nicht belegten Zusammenhängen. Inwiefern die behauptete Ansteckungskette überhaupt beweisbar ist, bleibt offen.
Das Vorgehen erinnert stark an dystopische Vorstellungen: Wer über seinen eigenen Körper entscheidet, soll für manche nicht mehr arbeiten dürfen. Schließlich sei er ein Gesundheitsrisiko für andere. Aber damit nicht genug: Er soll nun auch verfolgt werden können, wenn er angeblich indirekt – und ohne eine objektive Beurteilbarkeit – den Tod anderer auslöst. Dazu wird Hochtechnologie herangezogen, wie die hier angewandte Genomanalyse.
In Hildesheim wird ein Präzedenzfall verhandelt. Die Weitergabe einer Infektionskrankheit – soweit ein anderer nicht vorsätzlich angesteckt wurde – ist bisher stets als „höhere Gewalt“ und Teil des „allgemeinen Lebensrisikos“ verbucht worden und war damit nicht justiziabel. Sollte das Gericht die Pflegerin für Schuldig sprechen wäre das ein Dammbruch in der deutschen Strafrechtsgeschichte.