Im Vorwort zum neuen Buch von Ralf Schuler („Generation Gleichschritt. Wie Mitlaufen zum Volkssport wurde“) kritisiert der Kabarettist Dieter Nuhr den Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland.

Der Kabarettist Dieter Nuhr rechnet mit der Debatten-Kultur auch in seiner eigenen Branche ab. In einem Vorwort für das neue Buch von Pleiteticker.de-Autor Ralf Schuler „Generation Gleichschritt. Wie Mitlaufen zum Volkssport wurde“ (fontis Verlag) schreibt Nuhr:
„Natürlich kann man alles sagen und muss dann das legitime Echo ertragen. Eingeschränkt wird das Ganze dadurch, dass es bei abweichenden Gedanken immer auch ein – das legitime Echo weit übertönendes – illegitimes Echo gibt, dessen Ziel es ist, abweichende Meinungen zu überschreien, zu diffamieren, als extrem zu etikettieren und auszulöschen.“
Nuhr hat ein ganzes Arsenal von Techniken ausgemacht, die in diesem Meinungskampf Einsatz kommen: „Man wird sozial abgewertet, nicht mehr eingeladen, ignoriert, etikettiert als ,rechts‘ oder ,links-grün versifft‘, ,Klimareligiöser‘ oder ,Klimaleugner‘, ,Coronaleugner‘ oder ,Impfidiot‘ und so weiter, je nachdem von welcher Seite der Shitstorm kommt.
Der Shitstorm von rechts kann zu gewaltsamer Bedrohung führen, der von links hat subtilere Folgen: Hochschulprofessoren verlieren ihre Anstellung, Künstler werden nicht mehr ein- geladen, man wird zur ,umstrittenen‘ Person erklärt, vielleicht nur, weil man als Biologe zu dem Ergebnis kommt, dass es für die Fortpflanzung von Säugetieren exakt zweier Geschlechter bedarf … Das Attribut ,umstritten‘ begleitet einen fortan. Man wird damit zu einem Menschen erklärt, dem die Anständigen besser nur noch sehr skeptisch zuhören.“
Freie Meinungsäußerung könne auf diese Weise durchaus zu materiellen Folgen für die Betreffenden führen, schreibt Nuhr. „Die Auftritte werden weniger, die Einladungen für Vorträge seltener, Verträge werden nicht verlängert … Die Konsequenzen freier Meinungsäußerung sind heute schnell existentiell. Da verkneift man sich die freie Meinung lieber. Der Korridor des Sagbaren wird heute von Minderheiten definiert, die lauter schreien als die schweigende Mehrheit. Genau so funktioniert Einschränkung der Meinungsfreiheit heute.“
Ein gleichermaßen bitterer wie alarmierender Befund, der auch nichts von seiner Eindringlichkeit verliert, weil Nuhr als einer der erfolgreichsten deutschen Satiriker noch im- mer regelmäßig in der Öffentlichkeit präsent ist.
„In meinem Fall wird dann oft als Argument gebracht, dass ich ja weiterhin meine Sendung hätte und weiterhin vor großen Auditorien auftreten würde, wo ich dann beklagen würde, dass ich nicht mehr sagen dürfte, was ich gerade vor großem Publikum sagen würde. Das ist natürlich Quatsch. Ich habe noch nie im Leben behauptet, dass ich erfolgreich gecancelt wurde. Das liegt aber nicht daran, dass es keine Versuche gegeben hätte.“
Nuhr zählt eine ganze Reihe konkreter Beispiele auf. „Ich erinnere an die Sache mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder zahlreiche Versuche von Einzelpersonen und Institutionen, beim Sender die Absetzung meiner Sendung zu erreichen. Und wenn grüne Politiker bei Twitter fragen: ,Und, ARD???‘, was fordern sie damit, wenn nicht Konsequenzen des Senders für abweichende Meinung? Zahlreiche Versuche der Einflussnahme sind mir zugetragen worden.“
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hatte im Sommer 2020 unter anderem auch Dieter Nuhr gebeten, unter dem Hashtag #fuerdasWissen eine Videobotschaft zum 100-jährigen Bestehen der Forschungsfördereinrichtung beizusteuern und diesen nach einem Shitstorm zunächst wieder gelöscht. Erst nach massiven Gegen-Protesten wurde das Video wieder veröffentlicht.
„Dass die Cancel-Culture bei mir nicht geklappt hat, ist allerdings kein Beweis dafür, dass es sie nicht gibt. Sie war nur nicht erfolgreich, und zwar nur, weil ich über meine Social-Media-Accounts Millionen Menschen erreiche und deshalb über Medienmacht verfüge.
Natürlich würden mich die allermeisten Leute, die behaupten, es gäbe bei uns keine Cancel-Culture, am liebsten lieber heute als morgen canceln. Ihre Etikettierung war teilweise erfolgreich. Man wollte erreichen, dass mir Menschen nicht mehr zuhören. Und das wurde in bestimmten Milieus auch erreicht, zum Beispiel unter Klimaschützern. Ich gelte dort als Persona non grata, nicht weil ich Klimaleugner wäre oder unwissenschaftliche Dinge vertreten würde, für die es keine Argumente gibt, sondern weil meine Interpretation wissenschaftlicher Daten – zum Beispiel was die Effizienz unserer Klimamaßnahmen angeht – eben nicht per Argument widerlegt werden konnte.
Als Wissenschaftsgegner gilt man heute bereits, wenn man Dateninterpretationen infragestellt und darauf hinweist, dass sich ergebnisoffene Wissenschaft und Aktivismus von Wissenschaftlern nicht vereinbaren lassen.“

Das neue Buch von Ralf Schuler – hier zu erwerben.