- Eine neue Studie zeigt: Die mathematischen Leistungen von Mädchen haben in den letzten zehn Jahren im Vergleich zu Jungen deutlich abgenommen
- Die MINT-Förderprogramme der Bundesregierung waren offensichtlich vergeblich, wenn nicht kontraproduktiv
- Zeit zu akzeptieren, dass männliche und weibliche Gehirne unterschiedlich funktionieren
„Mama, Mathe ist blö-öööd“ – diesen Satz hat wohl fast jede Mutter schon einmal von ihrer Tochter gehört. Vor ein paar Jahrzehnten bekam die Kleine häufig noch die Antwort „halb so wild, du musst doch später eh nur die Preise im Supermarkt addieren können“ – heute ist die Mathe-Verdrossenheit vieler Mädchen zum erklärten Feinbild zahlreicher Bildungspolitiker und Forscher geworden. Was wurde in den letzten Jahren an Projekten aufgefahren, um Mädchen die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) schmackhafter zu machen: Beim vom Bildungsministerium initiierten „Girlsday“ dürfen seit 2001 einmal im Jahr Schulmädchen für einen Tag in männerdominierte Berufe hinein schnuppern. Es gibt MINT-Mädchenförderkurse und andere Initiativen wie „Komm, mach MINT“. Nun hat eine Studie gezeigt: Alles umsonst.
In den letzten zehn Jahren haben sich die Leistungen der Mädchen in Mathe im Vergleich zu den Jungs nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ganze 15 Lernwochen hängen Mädchen laut der Studie in ihren mathematischen Leistungen hinterher. Die Zahlen stammen aus dem aktuellen MINT-Nachwuchsbarometer der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und beziehen sich auf Erhebungen aus dem Jahr 2021. 2011 hatte der Unterschied noch bei neun Lernwochen gelegen. Der schon bekannte Leistungsunterschied hat sich also deutlich verschärft.
MINT-Förderung gibt es inzwischen ohne Ende
Für die Pädagogen der MINT-Initiativen ist das ein Schock. Deutschland befinde sich in einer „historischen Krisensituation!“, tönt der Studienleiter Olaf Köller in der WELT. Als Frau mit MINT-Schulen-Hintergrund fühle ich mich hier natürlich direkt betroffen und möchte den schockierten Bildungswissenschaftlern freundlich zuflüstern: „Es ist nicht Ihre Schuld!“ Zumindest nicht so, wie Sie denken.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass alle Bemühungen des Berliner Bildungssystems, mich für MINT-Fächer zu begeistern, schlichtweg vergebens waren. Dabei hat man sich ordentlich ins Zeug gelegt: Ich habe in meiner Schulzeit zahlreiche Ausflüge in technische Betriebe unternommen, wir haben uns Klärwerke angeguckt, Zuckerfabriken und Bierbrauereien. Mehrmals ist unsere Lehrerin mit uns ins Berliner Technikmuseum gegangen, das ich damals ganz fantastisch fand, weil dort in einem Anbau zahlreiche physikalische, biologische und chemische Phänomene „zum Mitmachen“ präsentiert wurden. Noch nachhaltiger hat mich allerdings das Naturkundemuseum beschäftigt, in dem ich meist in den Führungen vorgelaufen bin, um mir entweder das Weltall oder die Darwinfinken anzugucken. Sogar am Girlsday habe ich mehrmals freiwillig teilgenommen und dabei meine Tage in 3D-Druckereien und (ich war jung und wusste es nicht besser!) der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus verbracht.
Am Ende habe ich doch Deutsch und Englisch als Leistungskurse gewählt und nach dem Abi „was mit Menschen“ studiert. Die meisten Frauen, die ich kenne, haben es genauso gemacht. Bildungswissenschaftler Köller findet das problematisch. In der WELT erklärt er: „In der Tat interessieren sich Mädchen nach wie vor eher für lebensnahe Disziplinen wie Biologie und Medizin, während die Jungen eher in den abstrakten, alltagsfernen Disziplinen zu Hause sind.“ Darin, so der Wissenschaftler, würden sich vor allem „Sozialisation und Erziehung“ der Mädchen und Jungen widerspiegeln. Sein Vorschlag: Die Lehrer sollen den „lebensweltlichen Bezug“ in den MINT-Fächern mehr herausstellen. Köller: „Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer dafür sensibilisieren, mit welchen mathematischen Aufgabenstellungen man Mädchen kognitiv aktivieren kann“.
„Lebensweltliche Bezüge“ sollen Schülerinnen „kognitiv aktivieren“
Werter Herr Köller, ist jetzt nicht böse gemeint oder so, aber finden Sie es nicht etwas frauenfeindlich, den Mädchen zu unterstellen, sie wären kognitiv inaktiv? Also, ich will hier ja nicht lügen: Es gab vielleicht Zeiten im Physikunterricht, da war meine Sitznachbarin und ich eventuell kognitiv eher im Pausenmodus, und wenn man heute mit mir über Grundlagen der Mechanik sprechen möchte, werde ich wohl unauffällig das Thema wechseln. Aber das lag doch nicht daran, dass mein Lehrer nie einen „Lebensbezug“ hergestellt hätte – Flaschenzüge, Stromschaltkreise und Flugzeuge haben mich und meine Freundinnen nur eben nie so interessiert. Dafür waren wir dann in der Deutschstunde voll dabei, während meine männlichen Mitschüler gequält aus dem Fenster geguckt haben.
Die Wissenschaftler des MINT-Nachwuchsbarometers meinen: Das alles wäre anders gewesen, wenn unsere Lehrer und Eltern ihre sexistischen Vorteile überwunden und meine Mitschülerinnen und mich in MINT-Fächern mehr motiviert hätten. Dass wir Schülerinnen uns nicht ins Mathematik- und Informatikstudium gestürzt haben, liege laut den Forschern nämlich nicht an unseren Fähigkeiten, sondern an über „viele Jahre im Unterricht aufgebauten Geschlechterstereotype[n]“, die erst noch abgebaut werden müssen.
Das mangelnde Interesse der Mädchen an Mathematik sei laut den Pädagogen insbesondere darauf zurückzuführen, dass Mädchen in dem Fach weniger „Selbstvertrauen“ haben als Jungs. Während Jungs sich „eher überschätzen“ würden Mädchen sich „in Bereichen, die nach traditionellem Rollenbild nicht zu ihrer Identität passen, stärker unterbewerten“. Könnte man das geringere Selbstbewusstsein in Mathe nicht eventuell auch darauf zurückführen, dass viele Mädchen in Mathe eben merken, dass sie etwas länger brauchen als die Jungs, und sich daher eher zurückhalten? Nö, sagen die Pädagogen. Sie meinen „Lehrkräfte sollten Mädchen […] verdeutlichen, dass sie Mathematik genauso gut können wie Jungen und dass Mathematik ein spannendes Fach ist“. Dann wären alle Leistungsunterschiede passé. „Ist das noch Pädagogik oder schon Traumreise?“, mögen sich manche an dieser Stelle fragen.
Es gibt männliche und weibliche Gehirne
Nun aber mal im Ernst: Wenn man das MINT-Nachwuchsbarometer liest, hat man wirklich das Gefühl, Mädchen seien strohdoofe Wesen, die man mit pädagogischen Tricks überlisten müsste, damit sie ihr Gehirn anschalten. Wie sonst soll man es verstehen, wenn die Pädagogen Lehrern empfehlen, ihre Schülerinnen unabhängig von ihrer Leistung wie blöde zu loben und sie mit dem „kontinuierlichen Einsatz weiblicher Rollenvorbilder“ für die MINT-Fächer zu begeistern.
Tatsächlich hat man den Eindruck, dass die Forscher aus den neuen Zahlen genau die falschen Schlüsse gezogen haben. Die Studie zeigt doch viel mehr, dass die deutliche Leistungsdifferenz von Mädchen und Jungen in MINT-Fächern offenbar erstaunlich wenig mit den Förderangeboten und Unterrichtsmethoden zu tun hat. Vielmehr bestätigen die Untersuchungen die These, die bei Neurologen bereits seit Jahren anerkannt ist: Dass es so etwas wie ein männliches und ein weibliches Gehirn gibt. Es gibt zahlreiche Studien, die gezeigt haben, dass Frauen beispielsweise eher sprachlich begabt sind und sich soziale Berufe suchen, während Männer sich vor allem für analytische und theoretische Tätigkeiten interessieren. (Nachlesen kann man das zum Beispiel in „Das weibliche Gehirn“ von Neurologin Louann Brizendine).
Schluss mit Wohlfühlpädagogik
Das heißt natürlich nicht, dass es sinnlos ist, Mädchen in den Mathematikunterricht zu setzen (auch wenn mir hier ein paar Herren vom alten Schlag vermutlich widersprechen würden). Zum einen gibt es auch unter Frauen ein paar Exemplare, denen Mathe leicht von der Hand geht (und genug Jungen, die ebenso an Algebra scheitern wie ihre Mitschülerinnen). Zum anderen können auch die „kognitiv inaktiven“ Mädchen durch Klausuren, Tests und Tadel dazu genötigt werden, auch in den MINT-Fächern ihr bestes zu geben – und am Ende auch dort etwas zu leisten, auch wenn sie sich dafür vielleicht im Schnitt mehr anstrengen müssen als ihre männlichen Kollegen.
Wenn man den Lehrern also tatsächlich etwas für ihren Umgang mit Mädchen im Mathematikunterricht raten möchte, dann vielleicht, dass sie ihre Wohlfühlpädagogik und geheuchelten Motivationssprüche lieber durch wieder ernstzunehmende Leistungskontrollen austauschen sollten. Anders wird man meiner Meinung nach – und ganz ganz vielleicht spreche ich hier aus eigener Erfahrung – die Trotzphase eines weiblichen Teenagers nicht brechen können.