
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in der Krise, doch „der Winter 2023/2024 wird nicht unbedingt leichter”, so die ernüchternde Einschätzung der Ökonomin Ulrike Malmendier.
Ulrike Malmendier ist Ökonomin an der Universität Berkeley in den USA, im Gespräch mit dem Handelsblatt fordert sie ein Umdenken der Bundesregierung. „Inzwischen wissen wir: Der Winter 2023/2024 wird nicht unbedingt leichter”, erklärt Malmendier. Deshalb gilt es nun „alle Möglichkeiten auszuschöpfen, und da gehören die Atomkraftwerke dazu.” Dabei ist es wichtig, dass die Bundesregierung keine kurzfristige Laufzeitverlängerung ankündigt, sondern sich zügig für eine entscheide. Denn die Betreiber bräuchten Zeit, um Brennstäbe zu beschaffen. Derzeit sollen die verbleibenden Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 Mitte April abgeschaltet werden.
Das späte Eingreifen des Bundeskanzlers in den Streit um die Laufzeit der Atomkraftwerke habe in den USA für Verwirrung gesorgt. Aus ihrer Einschätzung ist Olaf Scholz bei den Amerikanern „noch nicht so ganz angekommen.”
Mit Blick auf China ist die Ökonomin besorgt. „Die Lieferketten werden wieder einbrechen”, sagt sie im Gespräch mit dem Handelsblatt. Durch das Scheitern der Null-Covid-Politik von Xi Jinping hat China nun eine 180-Grad-Wende vollzogen. Durch diese „Hundert-Covid-Politik” befürchtet Malmendier, „dass es mehrere Millionen Tote geben könnte”. Sollte es zu größeren Krankheitswellen kommen, wären die Lieferketten wieder gefährdet. Bereits während der Null-Covid-Politik kam es wiederholt zu Lieferkettenproblemen aufgrund Lockdowns in ganzen Städten und Provinzen.
Durch erneute Lieferkettenprobleme würden auch die Preise für Rohstoffe erneut ansteigen. Besonders die deutsche Wirtschaft könnte darunter leiden. Denn viele Unternehmen „hängen eben in einem großen Ausmaß von Lieferungen aus China ab.” Deshalb braucht Deutschland laut ihrer Einschätzung einen „China-Schutz-Crashkurs”. Sie warnt vor einer Wiederholung der Abhängigkeit, wie sie mit Russland bestand. Sollten Wirtschaft und Politik langfristige Abhängigkeiten nicht berücksichtigen, so droht eine erneute Abhängigkeit.
Doch nicht nur China bedroht die Wirtschaft Deutschlands und Europas. Durch das milliardenschwere Subventionsprogramm der USA, dem „Inflation Reduction Act”, schaffen sich die Amerikaner einen Wettbewerbsvorteil. Von der Kommission der Europäischen Union erwartet Malmendier eine Reaktion. Diese solle allerdings klar ausgestaltet und zentrale Frage der Finanzierung und Vorteile geklärt sein. Einen „Freibrief” lehnt sie ab. In der derzeitigen Diskussion bemängelt sie die Reihenfolge. Es würde bereits geplant, wie man Subventionen finanziert, aber nicht welche Bereiche der Wirtschaft überhaupt Förderung benötigen. „Das ist die falsche Reihenfolge.”
Ulrike Malmendier hat Abschlüsse in Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre von den Universitäten Bonn, Harvard, Princeton, Chicago und Stanford. Sie gehört zu den fünf Prozent der am meisten zitierten Wirtschaftswissenschaftlern und erhielt bereits mehrere Preise für ihre Arbeit.