Wohl mehr als 10.000 Bürger können durch die Berliner Wahlwiederholung am Ende doppelt ihre Stimme für den Bundestag abgeben – und eine ähnliche Anzahl wird gar keine gültige Stimme abgeben können. All das weil man für die Wiederholung ein verändertes Wählerverzeichnis verwendet, wie der Bundeswahlleiter und die Vorsitzende des Bundestags-Wahlprüfungsausschusses bestätigten.
Die Bundestagswahl in Berlin wird, wahrscheinlich, in 431 Wahlbezirken wiederholt. Doch wie kann man eine Wahl zu teilen wiederholen, ohne neue Wahlfehler zu generieren? Insbesondere da die Wahlwiederholung im Februar 2023, circa anderthalb Jahre nach der regulären Bundestagswahl, stattfindet. Da die Wahl über 6 Monate nach dem ursprünglichen Wahltermin stattfinden wird, wird ein aktualisiertes Wählerverzeichnis genutzt. Es wird keine Rücksicht auf das ursprüngliche Wählerverzeichnis genommen. Die Auswirkungen sind enorm und schaffen viele völlig neue Probleme. Probleme, die sowohl der Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages, Daniela Ludwig, als auch dem Bundeswahlleiter bekannt sind.
Rechtsbruch von 2021 wird legalisiert
Dass 16 und 17-Jährige 2021 bei der Bundestagswahl in Berlin, illegalerweise, ihre Stimme zum deutschen Bundestag abgegeben haben, war ein eindeutiger Wahlfehler. Die meisten von ihnen sind nun volljährig und damit wahlberechtigt für die Wiederholungswahl. Wenn also in Folge dessen anderthalb Jahre später 75 Prozent der ehemals 16 und 17-Jährigen, in den betroffenen Wahlbezirken, legal den selben Bundestag wählen dürfen, ist dies keine Behebung eines Wahlfehler sondern schlicht die Legalisierung eines Rechtsbruchs.
Sie mögen jetzt wahlberechtigt sein, waren es aber eben nicht zur letzten Bundestagswahl, die nun wiederholt werden soll. Was soll eine Million Staatsbürger dazu sagen, die mittlerweile 18 geworden sind, aber im falschen Bundesland bzw. Wahlbezirk wohnen und nicht die Chance haben den 20. Deutschen Bundestag zu wählen?
Tausende Wähler dürfen den Bundestag zweimal wählen – tausende gar nicht
Bei der Bundestagswahl 2021 wurde Wählern verwehrt, unter angemessenen Umständen in Berlin zu wählen. Wähler mussten zu lange warten um wählen zu dürfen. Die Folge: Wähler die von Ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch nahmen. Wähler die aufgrund der mangelnden Organisation um ihr Wahlrecht gebracht wurden.
Berlin ist eine volatile Stadt. Im Jahre 2021 sind 160.000 Menschen nach Berlin gezogen und 150.000 Menschen sind aus Berlin weggezogen. Wer aus den Wahlbezirken weggezogen ist, der darf nicht in der Wiederholungswahl wählen – und da im Rest des Landes die Wahl nirgends wiederholt wird, dort auch nicht. Durch das aktualisierte Wählerverzeichnis wird die Stimme von schätzungsweise mehr als 10.000 Wählern gelöscht, ohne dass sie die Möglichkeit haben ihre Stimme wieder abzugeben. Im Endeffekt konnten sie nun nirgends eine Stimme für den 20. Bundestag abgeben.
Auf der Gegenseite stehen wohl nochmal mehr als 10.000 Wähler, die bei der Bundestagswahl bereits anderswo gültig wählen konnten und nun noch einmal wählen können. Sie bekommen dadurch völlig legal zwei gültige Stimmen in der Bundestagswahl und damit die doppelte Vertretung.
So absurd dies klingen mag: Auf unsere Anfrage bestätigt sowohl der Bundeswahlleiter als auch Daniela Ludwig, die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages, dass Wähler nochmals wählen dürfen und beide berufen sich dabei auf die Regelung der Wiederholungswahl.
„Maßgeblich ist die Wahlberechtigung am Tag der Wiederholungswahl im betreffenden Wahlbezirk. U.U. können Personen (nochmals) wählen, die bereits an der Hauptwahl teilnahmen (z.B. bei einem Umzug in einen Wiederholungswahlbezirk)“, schreibt der Bundeswahlleiter.
Und das, obwohl der Bundeswahlleiter eigentlich auf seiner eigenen Website betont: „Der Grundsatz der Wahlgleichheit fordert, dass jede Wählerin und jeder Wähler dieselbe Anzahl von Stimmen und jede Stimme gleiches Gewicht hat.“
Jeder Deutsche der das aktive Wahlrecht besitzt, muss die Möglichkeit haben, den Bundestag wählen zu dürfen. Dass Wählern dies verwehrt wird und anderen eine Extra-Stimme geschenkt wird, ist keine Behebung eines Wahlfehlers sondern die Schaffung eines neuen Problems: Ein Verstoß gegen den Wahlgrundsatz „one man one vote“!
Eine mögliche Lösung:
Logisch wäre es, wenn einfach nur die Wähler wählen dürften, die im September 2021 den Bundestag in den betroffenen Wahlbezirken wählen durften. Eine Änderung der Regelungen zur Wiederholungswahl sind genauso sinnvoll wie eine, zukünftig, wesentlich schnellere Aufarbeitung von Wahlfehlern nach der Wahl. Oder noch besser: Wahlen müssen in unserer Demokratie wieder korrekt ablaufen!
Dieser Artikel ist im Rahmen der Apollo Akademie im Dezember 2022 entstanden, dem Jungautorenseminar von Apollo News.