- Beim Eröffnungsabend des Filmfestivals in Cannes wurde Schauspieler Johnny Depp minutenlang bejubelt.
- Es war das erste Mal, dass Depp wieder auf der Leinwand zu sehen war, nachdem er vor einem Jahr den Verleumdungsprozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard gewonnen hatte.
- Ein Sieg für alle, die noch an die Unschuldsvermutung glauben, meint unsere Autorin.
Sieben Minuten klatschten die Besucher des Cannes-Filmfestival am Dienstagabend, als Johnny Depp den Kinosaal betrat. Ein unüblich langer Applaus, vor allem in einem Raum voller Schauspieler, von denen wohl nicht wenige jede Minute Applaus für jemand anderen als eine Minute zu wenig für sich selbst empfinden. Sieben Minuten klatschten sie, viele stehend, manche sichtbar erfreut über die Rückkehr des – so muss man im Moment wohl noch sagen – Ex-Hollywood-Lieblings, der nun mit seiner Rolle im französischen Historiendrama „Jeanne du Barry“ erstmals wieder auf der Leinwand zu sehen ist.
Es ist nun ein Jahr her, dass Johnny Depp den Verleumdungsprozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard gewonnen hat. Nach über sechs Wochen medial begleitetem Verhör-Feuerwerk war das Gericht davon überzeugt gewesen, dass Heard falsche Anschuldigungen gegen ihren Ex-Mann verbreitet hatte. Ihre Vorwürfe, Depp habe sowohl körperliche als auch sexuelle Gewalt gegen sie ausgeübt, entlarvten sich als Lügen-Kampagne. Heard wurde zu einer Strafe von 15 Millionen Dollar verurteilt. Depp wiederum musste zwei Millionen Dollar zahlen, weil er fälschlicherweise behauptet hatte, seine Ex hätte einen Tatort inszeniert, um ihn zu belasten.
Ein Real-Live-Psychodrama
Es war ein Rosenkrieg der modernen, ekelhaften Art, der damals über Videoaufnahmen des Prozesses von Zuschauern auf der ganzen Welt verfolgt werden konnte. Da wurden nicht wie in manchen Schnulzetten Eheringe in die Toilette geworfen, weil einer der Partner nicht treu gewesen war. Bei diesem Real-Live-Psychodrama mussten sich die Geschworenen anhören, dass Heard ihrem damaligen Mann aufs Bett gekackt haben soll – als Machtdemonstration. Es wurden Tonaufnahmen vorgespielt, in denen Heard in triumphierender Stimme zu Depp sagt: „Los, mach doch, sag der Welt: Ich, Johnny Depp, ein Mann, bin Opfer von häuslicher Gewalt. Und dann sieh, wer dir glauben wird.“
Heard soll Depp unter anderem mit Whiskeyflaschen beworfen haben, die einen Teil seines Fingers abtrennten, der nur durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte. Depp wiederum wird von seiner Ex beschuldigt, ihr mehrfach die Nase gebrochen zu haben. Einmal habe er ihr angeblich gewaltvoll eine Flasche in die Vagina eingeführt. Vorwürfe, für die Heard kein ärztliches Zeugnis vorlegen konnte.
Die Geschworenen glaubten den Gewaltvorwürfen nicht
Der Prozess zeichnete das Bild eines seelisch schwer gestörten Paares – eine Psychologin diagnostizierte Heard im Prozess eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, eine Krankenschwester sagte über Depps schwerwiegende Drogensucht aus. Depps Schwester berichtete im Prozess, dass sie und ihr Bruder schon als Kinder von ihrer Mutter geschlagen worden waren.
Am Ende glaubten die Geschworenen Heards Anschuldigungen nicht – sie hatte ihre Glaubwürdigkeit durch zu viele Ungereimtheiten in ihren Aussagen verloren. Am bekanntesten wurde der Fakt, dass die Schminkpalette, mit der Heard laut Eigenaussage ihre von Depp zugeführten Gesichtswunden überdeckte, zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Gewalttaten noch nicht auf dem Markt gewesen war. Das hatte der Hersteller während des Prozesses öffentlich gemacht.
Die Gerichtsentscheidung traf die „Me-Too“-Bewegung ins Mark. „Sie glaubten dem Mann“, titelte der Spiegel kurz nach der Urteilsverkündung und zitierte im Folgenden eine Anwältin, die der Meinung war, die Entscheidung der Geschworenen könne eine „abschreckende Wirkung“ auf künftige Missbrauchsopfer haben. „Believe the women“ – der reflexartige Slogan, der mit den zahlreichen „MeToo“-Fällen der letzten Jahre erwuchs – gelte so nun nicht mehr, sinnierte der Spiegel-Autor weiter. Amber Heard selbst hatte kurz nach Bekanntwerden des Urteils getwittert, wie enttäuscht sie über diesen „Rückschlag“ sei. Das Urteil drehe „die Uhr zu einer Zeit zurück, in der eine Frau, die ihre Stimme erhebt, öffentlich bloßgestellt und erniedrigt werden konnte.“
Die Niederlage haben die „Me-Too“-Kämpferinnen noch nicht überwunden
Ein Jahr später sind die „Me-Too“-Kämpferinnen immer noch nicht über Amber Heards Niederlage hinweg. Das Comeback von Depp wirkt (man verzeihe mir den Medizinervergleich) wie ein Stich in eine Eiterblase, die seit einem Jahr gewachsen ist – und aus der nun der angesammelte Hass herausquillt. „Wer Cannes unterstützt, unterstützt Sexualstraftäter“ verbreitete die Journalistin Eve Barlow in den letzten Tagen auf Twitter. Der Slogan ist über einen Bild von Depp platziert. „Widerlicher Hass auf Frauen“ titelte auch eine taz-Kolumnistin am Montag – und ließ sich im Folgenden über eine angebliche Reuewelle von Twitter-Nutzern aus, die ein Jahr nach der Urteilsverkündung – warum auch immer – nun doch erkannt haben sollen, dass eigentlich Heard im Recht gewesen sei.
Auch die Frauenzeitschrift Glamour titelte in erfrischender Klarheit: „Johnny Depp startet beim Filmfestival in Cannes neu durch – die Karriere von Amber Heard ist jedoch vorbei: Darum ist das sexistisch“. Ein Titel, der mich neugierig machte und nach den Argumenten für den Sexismus-Vorwurf suchen ließ. Es gab keine. Nur schwammige Ausführungen darüber, dass Heard nun zum Symboldbild für Frauen gemacht werde, die falsche Vergewaltigungsvorwürfe gegen Männer erheben – „falsche“ setzt die Autorin in Anführungszeichen. Diese Darstellung sei sexistisch und könne gut von den beschuldigten Männern „instrumentalisiert“ werden, meint die Autorin. Ich frage mich, wie eine Frau sonst dargestellt werden sollte, die vor Gericht wegen Verleumdung schuldig gesprochen wurde.
Heard wollte Depps Karriere beenden – für immer
Was ist der Vorwurf dieser Frauen? Dass das Gericht falsch entschieden hat? So konkret werden die anklagenden Stimmen nicht. Diese Debatte könnte man ja führen, immerhin offenbarten beide Parteien ihre Abgründe im Prozess. Meiner Meinung nach ist es nach wie vor vorstellbar, dass Depp gewalttätig gegenüber seiner Ex-Frau geworden sein könnte – erst recht, wenn er unter Drogen war oder sie ihn mit Glasflaschen beworfen hat. Im Zweifelsfall müsste man hier über Gewalt von beiden Seiten diskutieren.
Doch im blutigen Rosenkrieg zwischen Heard und Depp gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen beiden Parteien, der gesichert ist, weil er für alle Öffentlichkeit sichtbar war: Amber Heard wollte Johnny Depps Karriere für immer vernichten. Ihr ging es nicht darum, vermeintliche Gewaltausbrüche vor einem Gericht zu verhandeln, entschädigt zu werden für das Leid, das sie womöglich erfahren hat. Wenn es so wäre, hätte sie aufhören können, als sie 2016 im Scheidungsprozess gegen Depp mit sieben Millionen Dollar Abfindung nach Hause ging. Doch Heard hat weiter gemacht, die Gewaltvorwürfe mehrfach in großen Zeitungen erneuert. Mit gravierenden Folgen für Depp: Erst verlor er seine Rolle als Gellert Grindelwald in der Tierwesen-Reihe (einer Abwandlung der Harry Potter-Geschichten), später seinen Vertrag mit Disney und seine Rolle als „Jack Sparrow“ im geplanten sechsten Teil von „Fluch der Karibik“. In Hollywood wurde Depp zur persona non grata, ist es bis heute.
Ein Sieg für die Unschuldsvermutung
Depps Sieg im Verleumdungsprozess gegen seine Ex-Frau und das warme Comeback im Filmbusiness in Cannes zeigen, dass es inzwischen möglich ist, sich gegen die mächtige „MeToo“-Bewegung zu wehren. Vielleicht ist ja etwas dran an der These des vorhin genannten Spiegel-Autors. „Believe the women“ gilt in den „MeToo“-Fällen zunehmend nicht mehr. Zu viele Menschen haben vor einem Jahr gesehen, wie Heards Anschuldigungen gegen Depp auseinander gepflückt wurden, sie selbst als Lügnerin und Gewalttäterin enttarnt wurde. Man kann von Depp halten, was man will, diesen Triumph hat er verdient.
Es ist jedoch nicht nur sein persönlicher Sieg, sondern auch ein Durchbruch für alle Männer und Frauen, die noch an die Unschuldsvermutung in den demokratischen Rechtssystemen glauben. Johnny Depp hat – ob nun absichtlich oder nicht – auch für uns gekämpft. Und ich bin mir sicher: Til Schweiger und Dieter Bohlen machen sich Notizen.