
Betreibt Deutschland seine Atomkraftwerke weiter? Und wenn ja, wie viele? Die intuitive Antwort in einer Energiekrise lautet: Ja, und alle. Unlogisch erscheint es doch, in der schwersten Strom-Notlage in der Geschichte des Staates mutwillig Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Und doch ist diese banale Frage aktuell der Zankapfel in Berlin. Eine Einigung bis zum Anfang dieser Woche hatte Bundeskanzler Scholz vollmundig versprochen – jetzt ist Montag, und eine Einigung der Ampel-Spitzen lässt immer noch auf sich warten. Sonntagabend gab es keine Einigung – nur einen neuen Vorschlag. Koalitionsintern werde eine weitere Option diskutiert, heißt es. Der neue Kompromiss-Anlauf: Ale drei verbliebenen Atomkraftwerke bleiben bis Ende 2023 im Streckbetrieb am Netz. Das würde FDP-Forderungen erfüllen, gleichzeitig aber die von Grünen-Chefin Ricarda Lang gezogene „rote Linie“ der Beschaffung neuer Brennstäbe nicht reißen.
Die Grünen jedoch haben eine Einigung vergangenes Wochenende deutlich erschwert. Am Samstag beschloss der Parteitag in Bonn, dass maximal die beiden süddeutschen AKW Isar II und Neckarwestheim in einen eng abgesteckten Streckbetrieb bis zum 15. April 2023 gehen dürften. Das entspricht auch der letzten Vorlage aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die Pleiteticker.de vorliegt (lesen Sie den Entwurf hier). Die FDP will mehr: Kommt aber zu spät, sagen die Grünen. „Hätte er (Christian Lindner, Anm. d. Red.) noch eine Einigung zu gelassen, dann hätten wir noch was machen können“, sagen Grünen-Vertreter gegenüber „Media Pioneer“. Jetzt stehe der Parteitagsbeschluss. Die Grünen haben Fakten geschaffen.
Während Habeck und Lindner sich zanken, hört man von einem Mann gar nichts: Olaf Scholz. Der versprach zwar Lösungen, lieferte aber keine. Im Machtkampf seiner zwei mächtigsten Minister wirkt der Kanzler blass und entscheidungsschwach. Er, der einst groß Führung versprochen hatte, ist mal wieder zu kraftlos, um Führung zu übernehmen. Ein beherzter Einsatz der Richtlinienkompetenz hätte dieses Dilemma verhindert – so ist Scholz’ Apathie genauso Teil des Problems wie der ideologische Parteitag der Grünen, der jeden Lösungsweg mit seinem Anti-AKW-Beschluss verhindert hat.