- Der türkische Präsident Erdogan nutzt Wahlkampfauftritte im Ausland, insbesondere in Deutschland, um politischen Einfluss auf die türkische Diaspora auszuüben.
- Erdogan mobilisiert seine Anhänger in Deutschland, um politische Konflikte aus der Türkei auf deutschen Straßen auszutragen, was zu Spannungen und Einschüchterungen führt.
- Über die Moscheeorganisation Ditib und ihre Imame übt Erdogan beträchtlichen Einfluss auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland aus, um nationalistische und islamistische Ideologien zu verbreiten und Andersdenkende zu unterdrücken.
Wahlkampfauftritte im Ausland – das ist eher selten. Nicht jedoch für den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Seitdem der türkische Staat 2014 auch im Ausland lebenden Türken das Wahlrecht einräumte, wurden die Länder der türkischen Diaspora plötzlich relevant für die Politik. Und so kam Erdogan 2014 nach Deutschland zu einem Wahlkampfauftritt. Einem Wahlkampfauftritt, der offiziell keiner sein sollte – aber doch einer war.
Bereits 2008 war er an gleicher Stelle aufgetreten. Damals forderte er die in Deutschland lebenden Türken auf, sich nicht an deutsche Verhältnisse anzupassen: „Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, rief er. Und auch 2014 wurde der Auftritt eine türkische Veranstaltung mitten in Deutschland. Riesige türkische Fahnen wurden geschwenkt, Handylichter blitzten, die Zuhörer trugen Erdogan-Schals.
Besorgnis über eine solche Propaganda-Show drückten damals nur türkische und kurdische Erdogan-Gegner aus. Das deutsche Establishment sah es hingegen gelassen. „Unsere Demokratie hält es aus, wenn sich Herr Erdogan an seine Landsleute wendet“, sagte beispielsweise Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Eine Einschätzung, die nicht falscher sein könnte. Denn in den Jahren seiner Herrschaft hat Erdogan seinen politischen Einfluss auch in Deutschland ausgeübt – zum Schaden der hiesigen Gesellschaft.
Die Moscheen sind seine Waffe, die Gläubigen seine Truppen
Als der deutsche Bundestag 2016 den osmanischen Völkermord an den Armeniern als solchen anerkannte, schäumte der türkische Präsident. Deutsche Politiker verunglimpfte er als Handlanger von Terroristen, als „verlängerten Arm der PKK“. Die souveräne Entscheidung des deutschen Parlaments respektierte Erdogan nicht – er mache Stimmung gegen die verantwortlichen Politiker, gegen das Hohe Haus selbst. Er hetzte seine Anhänger auf. In direkter Folge wurden deutsche Politiker von Erdogan-Türken mit Morddrohungen überschüttet.
Ein satirisches Lied einer deutschen Kabarett-Sendung veranlasste den Präsidenten zur Klage, um die Kunstfreiheit auch 2000 Kilometer von Ankara entfernt nach Gutdünken einschränken zu können. Beides kennt man von keinem ausländischen Staatsoberhaupt. Kein amerikanischer, kein russischer und auch sonst kein Präsident der Welt hat je das deutsche Fernsehen verklagt oder Bundestagsabgeordnete durch seine Anhänger einschüchtern lassen.
Erdogan, der Moscheen einst als „Kaserne, Bajonett und Helm“ seiner Partei bezeichnete, übt auch über die türkische Moscheeorganisation Ditib beträchtlichen Einfluss aus. Die Ditib steht hinter den allermeisten Moscheen in Deutschland und ist direkt dem türkischen Staat unterstellt. Ihre Imame, die Prediger in den Moscheen, spionieren für den Erdogan-Staat Oppositionelle aus und lassen die Gemeinden für den Sieg türkischer Truppen beten. Die Millionen Gläubigen, die den Predigten in den „Kasernen“ Erdogans hören – er nennt sie seine „Soldaten“ – werden zu oft zum verlängerten Arm Erdogans in Deutschland.
Analog zu den autoritär aggressiven Tendenzen der türkischen Regierung breitet sich in der türkischen Gemeinschaft in Deutschland seit Jahren eine nationalistisch-islamistische Szene aus, die Andersdenkende massiv unter Druck setzt. Keine andere Migrantengruppe führt politische Konflikte aus dem Heimatland so offen auf Deutschlands Straßen aus wie die Türken. Es gibt keine Polen, die polnische Konflikte in Berlin, Essen oder München austragen. Genausowenig wie es Vietnamesen, Marokkaner, Kroaten oder Spanier tun.
Das war nicht immer so, sondern ist vor allem Verdienst Erdogans, der die im Ausland lebenden Türken als wichtige Wählergruppe, aber auch als strategisches Instrument begreift. Erdogan hat Millionen Menschen zu einer politischen Waffe gemacht. Über sie werden politische Konflikte des Auslands plötzlich auf Deutschlands Straßen ausgetragen.
Mit der Kleinpartei BiG hat die türkische Regierungspartei sogar einen – zugegebenermaßen irrelevanten – Erdogan-Satelliten im deutschen Parteiensystem installiert. Die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland ist kein Zusammenschluss von Neonazi-Skinheads, sondern türkisch-nationalistisch – und Erdogan treu ergeben. Die Millionen Polen und polnischstämmigen Deutschen in unserem Land haben keine rechtsextreme Organisation gegründet, die hier für ihren Präsidenten kämpft. Auch Vietnamesen, Marokkaner und Spanier nicht.
Mit seiner nationalistischen Agitation, die sich auch besonders an die Türken in Deutschland richtet, hat Erdogan das Prinzip der Integration quasi umgekehrt: Anstatt die Türken weiter in den politischen Prozess in Deutschland zu integrieren, hat Erdogan Deutschland in die türkische Politik integriert. Unserem Land tut das nicht gut.