Nach seinem Bademantel-Spruch bei der WM in Katar sah sich Ex-Nationalspieler Sandro Wagner Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Gehetzt vom wütenden Internet-Mob, entschuldigten sich das ZDF und Wagner damals brav. Jetzt hat Wagner in einem Interview mit der Cancel Culture abgerechnet. Und einen sehr guten Ton getroffen.

Kommentar
Eiskalt vor dem Tor und hitzig vor der Kamera. So wurde der Ex-Fußballer und jetzige Kommentator Sandro Wagner bekannt. Jeder mochte ihn für seine freie Schnauze, seine flotten Sprüche und ehrliche Art. Auch wenn er manchmal provoziert hat, so richtig übel nahm man es ihm nie. Geradezu perfekt ist Sandro Wagner deshalb als Kommentator: Witzige Sprüche und tiefe Fußballkenntnis – die perfekte Symbiose.
Doch im Winter, im Zuge der Weltmeisterschaft in Katar, geriet der allseits beliebte Kommentator ins Fadenkreuz übersensibler Demagogen. Wagner sagte während der Partie Deutschland Spanien: „Fans sind auch wieder da. Habe auch schon ein paar Deutschlandfans gesehen, die lautstark anfeuern. Vorhin habe ich gedacht, die ganze Kurve ist Deutschland, voller Deutschland Fans. Dann habe ich erst gemerkt, das sind die katarischen Bademäntel.“
Lächerliche Vorwürfe zwingen das ZDF, einzuknicken
Der harmlose Vergleich der katarischen Gewänder, dem „Thawb“, mit Bademänteln, brachte den Ex-Fußballer und dem Sender ZDF lautstarke Kritik ein. Rassistisch sei diese Bemerkung, hieß es im Internet. Das ZDF ergab sich fast umgehend den lächerlichen Vorwürfen und entschuldigte sich öffentlich.
Auch Wagner sah sich aufgrund des öffentlichen Drucks gezwungen, zu Kreuze zu kriechen. „Es war ein unüberlegter Spruch mit einer unpassenden Bemerkung, die ich mir hätte sparen können. Wenn sich jemand angegriffen gefühlt hat – sorry, das war null Komma null meine Absicht“, schrieb Wagner damals auf Twitter.
Volle Defensive – ziemlich untypisch für den selbstbewussten, frechen Fußball-Experten, den alle für seine lockere Schnauze lieben. Viel mehr nach Sandro Wagner klingen jedoch das, was er jetzt in einem dpa-Gespräch zu dem Thema zu sagen hatte.
Wagners Abrechnung: Keine Lust mehr, sich ehrlich zu äußern
Zum Phänomen Cancel Culture sagte der Ex-Nationalspieler: „Das ist ein ganz schwieriges Thema, das sich in den letzten Jahren extrem entwickelt hat. Ich habe das Gefühl, wir sind da allmählich an der Spitze. Ich nehme es so wahr, dass sehr viele Leute mittlerweile den Kopf schütteln und sich fragen: Darf man denn gar nichts mehr sagen?“
Wenn man mit Älteren rede, „die lange im Job waren, ob Trainer, Experte oder Kommentator: Sie erzählen, dass es früher viel entspannter war“, sagte er weiter. „Wobei es gut und wichtig ist, das heute bei gewissen Themen mehr Sensibilität eingekehrt ist. Aber: Wie radikal oft direkt verurteilt wird, wie Äußerungen bewusst in die negative Richtung interpretiert werden – das finde ich schlimm.“
Diese Entwicklung habe, so Wagner, „auch mit der Empörungskultur in den sozialen Medien und dem zunehmenden Clickbaiting zu tun. Wenn man ständig heftige Reaktionen befürchten muss, raubt das einem irgendwann die Lust, sich anders als 0815-mäßig zu äußern.“
Politische Überkorrektheit nichts für den Fußballplatz
Was Wagner sagt ist völlig richtig. Die politische Überkorrektheit hat längst auch den Fußballplatz erreicht, einen eigentlich unpolitischen Ort. Fußballer müssen auf einmal politische Figuren sein und Statements setzen, wie das Hand-vor-dem-Mund halten in Katar oder das auf die Knie gehen gegen Rassismus beim EM-Achtelfinale in London 2021. Kommentatoren wie Wagner müssen politisch konform reden und müssen auf die typischen Fußballfrotzeleien verzichten.
Ist es das, was sich Fußballfans wünschen? Ganz sicher nicht. Fußballfans wollen Kommentatoren wie Sandro Wagner, die Tacheles reden und auch mal ein guten Spruch rausballern. Also Sandro, von Fußballer zu Fußballer, mach unbedingt weiter so!