In der Kurzreportage „Das Blackout-Experiment: Eine Familie zieht den Stecker“ filmt BR24 eine siebenköpfige Familie, die 24 Stunden ohne Strom und fließendes Wasser auskommen soll. Repräsentativ ist das nicht, die Familie ist wohlhabend – kann auf einen Pool voller Wasser im Garten zurückgreifen, hat ein Einfamilienhaus mit massig Platz. Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk stellt den Stromausfall wie ein großes Abenteuer dar. Das Fazit: Nicht der Blackout ist das Problem, sondern die Konsumsucht der Menschen.
Wie ist das so, wenn Blackout ist? BR24 wollte es wissen und startet ein Experiment für „Die Story“, dem wöchentliches Doku- und Reportageformat aus der Kontrovers-Redaktion des Bayerischen Rundfunks. „Das Blackout-Experiment: Eine Familie zieht den Stecker“, begleitet eine siebenköpfige Familie bei einem künstlichen Blackout über 24 Stunden. Werden sie es überleben? Welche Schwierigkeiten werden wohl auftreten? „Einige Probleme, kreative Lösungen und schöne Familienmomente“, verspricht der Bayrische Rundfunk.
Die Probanden sind eine siebenköpfige Familie: Mama, Papa, zwei Jungs, drei Mädchen, die Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren, ein Pflegekind inklusive. Sie sind ausgestattet mit einem Einfamilienhaus und großem Garten, in der Küche stehen Sandwichmaker, Friteuse, Standmixer, Küchenmaschine neben dem zweiten Kühlschrank; das geräumige Haus verfügt über 5 Fernseher – alles nicht billig. Eine kurze Recherche ergibt, dass die Familie in der Gemeinde Weichs im Kreis Dachau angesiedelt ist – eine sehr wohlhabende, idyllische Gegend. Sonderlich repräsentativ ist dieses Experiment nicht – zumindest nicht für die Zustände, die ein Stromausfall etwa in Berlin-Neukölln zur Folge hätte. Es hat was von Hollywoodsternchen, die während des Lockdowns „Wir sitzen alle im gleichen Boot“-Videos von der Yacht aus auf TikTok posten.
Die perfekte Stromfamilie
Der Bayrische Rundfunk sieht da kein Problem. Man hält diese Familie offenbar für perfekt geeignet. „Seid ihr denn eine Stromfamilie?“, fragt die Reporterin stattdessen, mit Blick auf die Haushaltsgeräte im Haus. Aber nicht nur die gut ausgestattete Küche steht hier im Fokus, denn da gibt es noch einen Elefanten im Haus dieser Familie: „Die Stromfresser schlechthin – drei Teenager“. Aus diesen unbescholtenen Stromfressern will die Reporterin ein Handysucht-Geständnis heraus kitzeln: „Wie oft hast du dein Handy in der Hand?“ Als ob für Kinder die größte Herausforderung an einem Blackout der Handyentzug wäre und nicht etwa die Tatsache, dass Kanalisation, öffentliche Ordnung, medizinische Versorgung und Verfügbarkeit von Trinkwasser und Lebensmitteln zusammenbrechen würde.
„Also wir brauchen Strom. Aber wir werden es auch überleben ohne.“, sagt die Mutter lächelnd. „Nein, ich nicht!“, kräht der Jüngste dazwischen. Die Kamera schwänkt zu ihm rüber. Er grinst in die Kamera, dabei sieht man seine Zahnlücke, vor kurzem war wohl die Zahnfee zu Besuch. Ob die sich den nächsten Milchzahn noch leisten können wird? „Ich nicht!“, wiederholt er, „Ich werde das nicht überleben.“ „Genau die richtige Familie für ein Blackout-Experiment“, sagt die Stimme aus dem Off und eine gewisse Schadenfreunde schwingt dabei mit.
Ein ganzer Pool voller Wasser und andere Luxusprobleme
Dann ist es 16 Uhr – der Familienvater schreitet zum Stromkasten, klickt jeden Schalter aus, lächelt in die Kamera. Damit nicht genug. Das Kamerateam folgt ihm in den Keller: „Das Wasser wäre für einen Großteil der Bevölkerung jetzt auch weg.“, sagt die Stimme aus dem Off wieder munter. Der Papa dreht den Hahn zu. Nun ist Schluss mit lustig. Direkt nach der zugedrehten Wasserleitung bekommen die Zuschauer den ältesten Sohn zu sehen, er spielt Gitarre. Seine kleine Schwester hört ihm gespannt zu, der kleine Bruder mit der Zahnlücke tanzt dazu. Nein, ist es nicht süß? Es gibt doch nichts, was die Zuschauerherzen von BR24 höher schlagen lässt, als Geschwister, die sich zur Abwechslung mal vertragen.
Dann bahnt sich das erste Problem an: „Kein Wasser, keine Toilettenspülung“. Der Familienvater löst dieses Problem souverän. Mit einem großen Eimer geht er in den Garten – zu seinem Pool, der bis oben hoch mit Wasser gefüllt ist. Welche Gesellschaft soll das abbilden? Nicht die durchschnittliche deutsche Familie, die im Fall der Fälle in einer kleinen Wohnung hockt. Lachend und triumphierend geht er zum Haus wieder, sein Eimer voll mit klarem Wasser, in dem kein einziges Blatt schwimmt. Oh, wie schön sind doch die Luxusprobleme des wohlhabenden Mannes. Die Mama läuft darauf hin mit den Kleinen zur übergroßen Regentonne und schöpft dort Wasser zum Händewaschen ab. Hier mangelt es an gar nichts. Nach ca. 5 Minuten in der Doku wird dem Zuschauer klar: Wenn man Literweise Wasser im Garten rumzustehen hat und Wochen vorher von einem Reporterteam vorgewarnt wurde, ist der Blackout ein lustiges Familienabenteuer.
Lachende Kinder, Mama schmückt und Papa grillt
Wieder ein Cut, nun bekommt man wieder die Kinder zu sehen. Alle Gliedmaßen sind noch dran, keine Zähne fehlen, die vorher nicht auch schon weg waren. Sie spielen friedlich Basketball, dann sitzen sie im Garten und vergnügen sich mit Brettspielen. Wer will, dass seine fünf Kinder sich nicht die Köpfe einschlagen, der braucht nur einen Blackout – und ein Kamerateam vor dem man sich benehmen muss, riesiger Garten und ein Einfamilienhaus voller Rückzugsorte inklusive.
Dann wird es 19 Uhr, die Familie hat drei Stunden überstanden, als es langsam dunkel wird. Gemeinsam mit Mama kramen sie die LED-Laternen raus. „Und zur Not tut´s auch die Weinachts-Deko!“, tönt die Stimme aus dem Off wieder und wir sehen eine kleine Laterne mit Holzbäumchen und Elch, an einem Schrank hat die Mutter eine Sternchen-Lichterkette befestigt. Die Familie ist zum gemütlichen Teil des Abends übergegangen. Abendessen: Papa steht am hauseigenen Grill im Garten. Er wendet Steaks und Würstchen für sieben Personen (wie viel das wohl bei den aktuellen Preisen gekostet haben muss?) während der Rest der Familie sich an der Feuerschale aufwärmt, die sie im Garten zu stehen haben. Nach dem Abendessen gehen alle ins Bett, mit Jogginghose und drei Decken.
So viel Zeit für die Familie wie lange nicht mehr – dank Blackout
Der Morgen bricht herein, wir sehen den Sonnenaufgang über der Stadt: ein grünes ästhetisches Dorf, kein einziges Reihenhaus, kaum Mehrfamilienhäuser in Sicht – hier, so scheint es, ist die Bevölkerungsschicht unter sich, die sich heutzutage noch Sprudelwasser leisten kann. Der Papa geht zum Kühlschrank, so voll gepackt, dass er fast überquillt. „Noch ist er kühl“, doch die Lage wird „ernster“. Denn beim Frühstück beschäftigen sie nun doch die tiefgründigen Themen: Wie wären sie nun dran, bei einem echten Blackout? Sie könnten die Oma nicht erreichen, um zu fragen, ob es ihr gut geht. Nun fällt der lustigen Gemeinschaft doch auf, dass ein Handy nicht nur zum Spielen da ist und dass die kleinen auch zu Recht daran hängen. „Ich hätte son bisschen Angst“, sagt eins der Mädchen. Sieht man nun doch ein, dass ein Blackout nicht nur Abenteuer ist?
Die Einsicht waltet nicht lange. Mit Spielzeugpistolen bewaffnet, teilt die Familie sich auf, beschießt sich gegenseitig mit Schaumstoffmonition. In einem mindestens zweistöckigem Eigenheim und großen Räumen macht sowas ja auch Spaß. „So eine intensive Zeit miteinander wie in den vergangenen Stunden hatten sie schon lange nicht mehr.“, die Stimme aus dem Off freut sich. Die gestellte Spielschlacht beweist alles, was man sich erhofft hat: Blackout macht Spaß. Nur noch eine Stunde, dann ist das Experiment zu Ende – und alle erfreuen sich noch bester Laune.
Das größte Problem des Blackouts: Handykonsum
Die Stunde ist schnell rum – „Es werde Licht!“. Und was ist das Fazit? „Echt überraschend: für ausreichende Nahrung, Wasser, Lichtquellen kann man vorsorgen. Aber der Verzicht auf elektrische Haushelfer und digitale Medien scheint für manche schmerzhafter zu sein.“ Wir sehen wie der Jüngste mit der Zahnlücke sein geliebtes Handy zurück bekommt und der Große erstmal FIFA 22 zockt. Ganz klar: Wer seine Handy- und Spielkonsolensucht im Griff hat, für den ist der Blackout ein Klacks. Und wer seine Handy- und Spielkonsolensucht in den Griff krieg will, der sollte vielleicht mal den Stecker ziehen.
In einem eindeutig wohlhabenden Dorf zu leben, wo man abgeschieden ohne Angst vor Kriminalität oder Platznot im Eigenheim residieren kann, kann dabei auch nicht schaden. Sie sind neugierig geworden? Keine Sorge, das große Blackout-Abenteuer kommt bald auch zu Ihnen nach Hause! Gehen Sie sicher Ihren Pool mit Wasser volllaufen zulassen und kramen Sie die Weihnachstbeleuchtung raus, jetzt wird’s gemütlich!