Obwohl das israelische Gesundheitsministerium die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bereits im Februar 2021 auf die Myokarditis-Gefahr nach Covid-Impfungen hinwies, warnte das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erst Monate später, im Juli 2021, davor.

Rote-Hand-Briefe des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) oder des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM) gelten in deutschen Mediziner- und Pharmakreisen als die Warnsignale schlechthin. Werden sie ausgegeben, herrscht Aufregung bei Medizinern, Herstellern und Arzneimittel-Behörden. Mit einem solchen Brief warnte das PEI im Juli 2021 vor der Myokarditis-Gefahr nach Impfung mit Comirnaty, dem Covid-Impfstoff von Biontech und Pfizer – allerdings erst Monate, nachdem Israel die ersten Warnsignale dazu meldete.
Bereits im Februar 2021 nämlich unterrichtete das israelische Gesundheitsministerium die EMA über eine auffällige Zahl an Herzmuskelentzündungen in jüngeren Altersgruppen. In einer Mail mit dem Betreff “Informationen über Myokarditis-Fälle nach dem Covid-19-Impfstoff von Pfizer”, die Pleiteticker.de vorliegt, heißt es:
“Wir untersuchen ein Sicherheitssignal von Myokarditis/Perikarditis in der jüngeren Bevölkerung (16-30 Jahre) nach Verabreichung des Impfstoffs gegen Covid-19 von Pfizer. Bislang wurden uns etwa 40 Fälle dieser unerwünschten Wirkung gemeldet, die im Anschluss an die Verabreichung des Impfstoffs auftraten.”
Warum wurde erst im Juli gewarnt?
Dass die EMA diese Mail erhalten und deren Inhalt zur Kenntnis genommen hat, bestätigt eine Antwort der Behörde auf dem Portal “Frag den Staat”. Dort heißt es: “Die EMA wurde erstmals am 28. Februar 2021 vom israelischen Gesundheitsministerium informiert. Das Ministerium nahm per E-Mail Kontakt mit uns auf.“
Im Anschluss an diese Mail, so schreibt die EMA weiter, seien „regelmäßig Daten über das Auftreten bzw. die Beobachtung von Myo-/Perikarditis in zeitlichem Zusammenhang mit der Verwendung von COVID-19-Impfstoffen” ausgetauscht und von internationalen Aufsichtsbehörden diskutiert worden.
Auf Anfrage bestätigt die deutsche Behörde, von der Warnung gewusst zu haben. “Das Paul-Ehrlich-Institut wurde von der Europäischen Arzneimittelbehörde informiert”, heißt es in einer schriftlichen Antwort. Auch die EMA rühmt sich mit dem engen Austausch: “Wir arbeiten eng mit dem Paul-Ehrlich-Institut zusammen, und ein Vertreter des PEI ist Mitglied unseres Sicherheitsausschusses.”
Informiert war man also. Doch warum zog die für die Sicherheit zuständige Behörde dann erst im Juli die signalstarke Karte Rote-Hand-Brief? Auf Anfrage heißt es: “Das Paul-Ehrlich-Institut hat im Sicherheitsbericht vom 4.03.2021 mit der Auswertung der Daten vom 27.12.2020 bis einschließlich 26.02.2021 (und in den folgenden) über in Deutschland gemeldete Fälle von Myokarditis berichtet… Im Sicherheitsbericht mit Daten bis 30.04.2021 wurde erneut über den aktuellen Stand zur Myokarditis berichtet.”
Dass das PEI bereits vor dem Warn-Brief im Juli Fälle von Herzmuskelentzündungen auflistete, stimmt zwar. Allerdings: Der Sicherheitsbericht vom 4. März erwähnt die Warnhinweise in Israel nicht. Lediglich einige wenige Fälle aus Deutschland werden benannt – sehr zurückhaltend, und: ohne Warnung versehen.
Dass weder das PEI noch der der europäische Pharmakovigilanzausschuss PRAC zu jenem Zeitpunkt ein Risikosignal in den eigenen Ländern erkennen konnten, ist logisch, denn während Israel bereits seit Ende Januar 2021 Teenager ab 16 Jahren gegen Covid impfte, passierte das bei uns erst deutlich später.
Hätte man die Fälle aus Israel mit berücksichtigt, hätte man bereits damals die Warnung ausgeben können, die erst im Juli erfolgte. Zudem deuteten bereits Ende Februar vermehrte Fälle aus der US-Armee auf eine spezielle Anfälligkeit junger Männer hin.
“Daher ist auf Basis der Daten aus Deutschland kein Risikosignal zu erkennen.“
Im April wies dann ein vorläufiger Bericht eines Expertenteams des israelischen Gesundheitsministeriums erneut auf ein mögliches Risikosignal für Myokarditis nach dem Impfstoff von Pfizer/Biontech vor allem bei jungen Männern zwischen 18 und 30 Jahren hin, insbesondere nach der zweiten Dosis. Demnach erlitt einer von 20.000 Geimpften in dieser Altersgruppe eine Herzmuskelentzündung. Anfang Juni erhielt das israelische Gesundheitsministerium sogar schon Warnungen von 1:3000 bis 1:6000 Fällen bei 16- bis 24-jährigen Männern.
Obwohl der Sicherheitsbericht vom 7. Mai die Daten aus April bereits beinhaltete, wird Israel nur beiläufig erwähnt. Das PEI schreibt sogar explizit: “Daher ist auf Basis der Daten aus Deutschland kein Risikosignal zu erkennen.“
Die Argumentationslinie der Behörde: Keine Warnsignale in Deutschland, keine Warnung. Anstatt den Informationsvorsprung durch das Wissen aus anderen Ländern zu nutzen, um vor der Verabreichung der Covid-Impfstoffe an Kinder und Jugendliche in Deutschland Studien zu initiieren, die gezielt nach genau nach dieser Nebenwirkung suchten, wartete das PEI darauf, dass Fälle bei jungen Menschen auch in Deutschland auftraten – um dann vor ihnen zu warnen.
Erst im November 2021 begann das PEI gemeinsam mit dem Register für Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf Myokarditis (MYKKE-Register) eine prospektive Datenerfassung der Verdachtsfälle von Herzmuskelentzündungen bei Kindern und Jugendlichen nach einer Covid-Impfung.
Verantwortungsbewusste Arzneimittelüberwachung sieht anders aus. Hinzu kommt, dass die vom PEI erfassten Fälle mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die Spitze des Eisbergs sind. In einem “Bulletin zur Arzneimittelsicherheit” erläuterten die zwei in Deutschland für Arzneimittelsicherheit zuständigen Behörden, das PEI und das BfArM noch 2017: “Nur etwa sechs Prozent aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen und fünf bis zehn Prozent der schweren unerwünschte Arzneimittelwirkungen werden Schätzungen zufolge gemeldet.”
Dass viele Fälle unter den Tisch fallen, ist geradezu systemimmanent und zu einem großen Teil der Arbeitsweise des PEI geschuldet. Meldungen beruhen vor allem auf passiver Erfassung, heißt: Das PEI führt kaum aktiv Studien durch, um die Häufigkeit bestimmter Nebenwirkungen herauszufinden, sondern verlässt sich darauf, dass die Fälle der Behörde gemeldet werden.