Konrad Adenauer baute Deutschland als demokratischen Staat auf. Helmut Kohl vollendete die Einheit unseres Vaterlandes. Beide erhielten das Großkreuz des Verdienstordens in besonderer Ausführung. Was hat Merkel für Deutschland getan, dass sie den höchsten Orden der Republik verdient hat?
Steinmeier ist ein Präsident der blumigen Worte. Diesem Ruf wird er auch an diesem Abend gerecht, als er Angela Merkel den höchsten Orden unseres Landes verleiht. „Blumig“ – das ist hier wörtlich zu nehmen. „Wir alle erinnern uns an den Abend des 2. Dezember 2021“, beginnt der Bundespräsident seine Rede. Er denkt an Angela Merkels Zapfenstreich, ihre Verabschiedung aus dem Amt der Bundeskanzlerin. An den meisten Bürgern dürfte diese Veranstaltung eher eine untergeordnete Relevanz gespielt haben, damals, mitten im Corona-Winter. Steinmeier jazzt sie jedoch zum historischen Moment hoch. So, wie das nationale Gedächtnis der Deutschen die Kennedy-Rede 1961 („Ich bin ein Berliner“) oder Genschers Auftritt in der Prager Botschaft 1989 in Erinnerung hält, sieht Steinmeier wohl auch Merkels Abtritt von der Macht. Es ist ein erster Hinweis darauf, was für eine verklärende Klatschveranstaltung dieser Abend werden soll.
Eingeladen hat Merkel viele alte Weggefährten. Thomas de Maizière, Ronald Pofalla, Peter Altmaier und Helge Braun. Auch Ursula von der Leyen – aus der aktuellen Unionsführung ist niemand da. Nicht ihr alter Widersacher Friedrich Merz, nicht ihr Kontrahent und Kollege Wolfgang Schäuble. Stattdessen hat sich die alte Garde der Kanzlerin um sie herum versammelt. Durch Merkel, an Merkels Rock hängend, wurden sie das, was sie sind. Nicht zuletzt Steinmeier, den Merkel zum Bundespräsidenten machte.
Beispiellose Politikerin?
Sie sei eine „beispiellose Politikerin“, erklärte Steinmeier – Grund genug, ihr die höchste Ehrung unseres Staates zuteil werden zu lassen. Damit ist sie eine von erst drei Empfängern dieser besonderen Ehrung. Nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl erhielten sie bisher. Was stellt Merkel auf eine Ebene mit diesen beiden großen Politikern?
Konrad Adenauer baute das demokratische Deutschland auf und führte es gegen innere und äußere Widerstände in die westliche Wertegemeinschaft. Ihm haben wir ein freies, demokratisches und letztlich auch geeintes Deutschland zu verdanken: Unter dem väterlichen Rheinländer lernte das „Baby Bundesrepublik“ laufen. Adenauer tat viel für eine ehrliche Vergangenheitsbewältigung und die Aussöhnung mit alten Feinden. Er legte den Grundstein für die Deutsch-Französische Freundschaft, um die Deutsch-Israelischen Beziehungen machte er sich verdient wie kein Bundeskanzler nach ihm. Adenauer war ein Visionär. Zurecht hat er für seine Leistung den höchsten Orden unseres Landes erhalten.
Helmut Kohl, der „Kanzler der Einheit“, packte die historische Gelegenheit beim Schopfe und setzte die Wiedervereinigung unseres Lande durch. Etwas, was viele, auch er selbst, lange für unmöglich oder zumindest weit entfernt spielende Zukunftsmusik erachtet hatten. Gegen innere wie äußere Widerstände vereinte der Pfälzer unsere Nation: Er überwand die Skepsis der Franzosen, den Widerstand der Briten und einigte sich mit der Sowjetunion, ohne dabei Deutschlands Rolle als festes Mitglied der westlichen Gemeinschaft in Frage zu stellen. Was Kohl vollbrachte, war ein historisches Kunststück – damit wird er für immer einer der größten, vielleicht der größte Kanzler der Bundesrepublik bleiben. Kohl war ein Visionär. Zurecht hat er für seine Leistung den höchsten Orden unseres Landes erhalten.
Für welche Leistung erhält Merkel den höchsten Orden unseres Landes?
Spricht man mit Menschen über Angela Merkel, hört man wenig konkretes darüber, was sie als Kanzlerin denn tatsächlich gut gemacht hätte. Stattdessen fallen oft Sätze wie: „Sie hat uns ja allem rausgehalten.“ Oder: „Sie hat immer mit Bedacht gehandelt“. Beliebt ist auch: „Sie hat die Dinge vom Ende her gedacht“. Insbesondere diesen Mythos verbreiten der Kanzlerin gewogene Journalisten in diversen Medien gerne. Die angebliche „Physikerin der Macht“, immer kühl, rational, berechnend? Nichts könnte falscher sein. Merkels Motivation war nie ein hehres, gar ehrenvolles Verständnis von Politik. Ihr politische Motivation waren stets vor allem eines: Ihre eigenen Umfragewerte. Überzeugungen waren bei der ehemaligen Bundeskanzlerin so flexibel wie die Ergebnisse der „Sonntagsfragen“. Wenn sie „bedacht“ handelte, dann höchstens bedacht darauf, ihre eigene Macht zu erhalten.
Eine Kanzlerschaft der Imperative
Politiker haben den Auftrag, im Sinne ihrer Wähler zu gestalten – Doch Merkel gestaltete nicht. Sie verwaltete. Ihre Handlungen verkaufe sie nicht als politische Entscheidungen, sondern sozusagen als unvermeidliche Antworten auf Naturereignisse. Die Eurorettung war „alternativlos“, die Aufnahme von Flüchtlingen moralische Pflicht, und die Corona-Politik folge nur den klaren Empfehlungen „der Wissenschaft“. Dabei wissen wir: Vieles hätte anders gemacht werden können, gemacht werden müssen. Welche Berechtigung hatte im Rückblick beispielsweise der berüchtigte 15-Kilometer-Radius aus dem Januar 2021? Eine Regelung, die den meisten heute als das erscheint, was sie immer war – übergriffig und sinnlos – war damals, Sie ahnen es, alternativlos. Genauso wie die ewige Jagd nach willkürlichen Inzidenz-Werten. 100, 50, 25 – sinnlose und fragwürdig bestimmte Kennzahlen, die auf die tatsächliche Pandemieentwicklung schon lange ihren Einfluss verloren hatten, galten lange als Goldstandard. Merkel trat wie keine Kanzlerin vor ihr die Bürgerrechte in Deutschland mit Füßen.
Die Corona-Politik hat viel unnötiges Leid verursacht und gefährliche Präzedenzfälle für einen übergriffigen, autoritären Staat geschaffen. Die Migrationspolitik der Altkanzlerin hat die EU nachhaltig gespalten – der Austritt der Briten aus der Europäischen Union war Folge ihrer Politik der offenen Grenzen. Und die Euro-Politik der Kanzlerin mündete letztendlich in der Schuldenunion. Merkel trug das alles mit, trieb es gar entschieden voran. „Verdienstkreuzwürdig“ ist all das nicht – Verdient hätte Merkel für einige Aspekte ihrer Politik eher einen Untersuchungsausschuss.
Kanzlerin der freien Welt?
Auch international war die Kanzlerschaft Merkels kein Ruhmesblatt. Auch, wenn diverse internationale Medien die Kanzlerin zu einer neuen Lichtfigur verklärten – zur, wie das „Time Magazine“ titelte, „Führerin der Freien Welt“. Auch das war sie nicht – im Gegenteil. Dass Deutschland mit seiner Abhängigkeit von russischem Gas in einer prekären Situation ist und den Westen in der Unterstützung der Ukraine immer wieder ausgebremst hat, ist Verdienst dieser „Führerin der freien Welt“. Dass das totalitäre Regime Chinas seinen Einfluss auf Europa bedenklich ausgeweitet hat, ist auch eine Folge ihrer Politik. Bis zuletzt: Noch zum Ende ihrer Amtszeit brachte sie das Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik über die Ziellinie. In diesem Abkommen sicherte die EU dem Regime Peking unter anderem auf unbestimmte Zeit die Offenheit des eigenen Marktes zu, während der chinesische Markt weiter voller Barrieren für nicht-chinesische Unternehmen blieb. Als US-Präsident Donald Trump völlig zurecht die europäischen Staaten, vor allem Deutschland, für ihre mangelnden Militärausgaben und zu großen Abhängigkeit von Russland kritisierte, sorgte Merkel nicht etwa für bitter nötige Geschlossenheit im transatlantischen Bündnis – sie erklärte Europa für alleinstehend und wendete sich ein Stück weit von der atlantischen Gemeinschaft ab. Ein Erfolg für die „freie Welt“ ist das alles nicht. Wenn Merkel die „freie Welt“ führte, dann in Richtung Abhängigkeit und Schwäche.
Wofür also erhält Merkel heute die höchste Ehrung unseres Landes? Was stellt sie auf eine Ebene mit Konrad Adenauer oder Helmut Kohl? Nichts. Absolut gar nichts. Vielleicht der Fakt, 16 Jahre im Kanzleramt gesessen zu haben. Wenn das aber ausreicht, um sich den höchsten Verdienstorden der Bundesrepublik zu verdienen – dann ist dieser Orden ab Heute nichts mehr Wert.