Diversity-Spektakel in London. Bei einer Fashion-Show der Designerin Sinéad O’Dwyer wurde Frauenmode von Transgender-Models, Rollstuhlfahrerinnen und Übergewichtigen präsentiert. Eine Gruppe von Frauen kommt bei der hyper-inklusiven Mode jedoch nicht vor.

„Ich möchte Mode für alle machen“, proklamierte die britische Designerin Sinéad O’Dwyer laut Vogue während ihrer Fashion-Show in London. Die junge Modeschaffende scheint eine große Nummer bei der London Fashion Week zu sein. Verschiedene Videos im Internet zeigen den Laufsteg umringt von quietschbunt gestylten Zuschauern.
Die Videos zeigen (leider) auch noch was anderes: Die Models. Als regelmäßige Zuschauerin von „Germany’s Next Topmodel“ habe ich über die Jahre ja schon einigen irren Quatsch auf Catwalks gesehen. Doch hier zeigt sich eine Aneinanderreihung von Erscheinungen, die ich mir in meinen wildesten Träumen nicht hätte ausmalen können.
Kostprobe gefällig? Show-Eröffnerin ist eine junge Frau mit völlig übermalten Augenbrauen und hellrosa geschminkten Lippen, die man bei mir früher auf dem Schulhof als prollig bezeichnet hätte. Outfit und Schuhe sind knallpink – so weit, so gewöhnlich. Doch: Das Model fährt im Rollstuhl über den Laufsteg und starrt dabei derart apathisch in die Ferne, dass man sich fragt, ob sie gerade den Sinn des Lebens infrage stellt.
Gleich danach folgt ein Männlein oder Weiblein – so genau ist das nicht zu erkennen – das seinen/ihren voluminösen Körper in all seiner Pracht durch ein bisschen Netzstoff präsentiert. Dazu trägt das Model eine Art Skimütze aus Wolle, die so eng anliegt, dass man sich kurz fragt, ob hier ein Hijab dargestellt werden soll – was ja immerhin, zusammen mit der demonstrativen Nacktheit, für einen sehr – wie soll ich sagen – aufklärerischen Look stehen würde.
Ein weiteres Model trägt eindeutig Hijab und ein dazu passendes Ganzkörperkostüm, das nur durch einen Nasenpiercing als nicht traditonell muslimisches Gewand zu erkennen ist. Es gibt außerdem eine schwangere Frau, die ihren prallen nackten Babybauch umschnürt von Netz-Konstruktionen präsentiert und mehrere Models, die anhand ihrer Anatomie eher dem männlichen Geschlecht zugehörig zu sein scheinen – jedoch trotzdem mit geschminkten Lippen, langen wehenden Haaren und Netzstrumpfhosen über den Laufsteg schreiten.
Die Fashion-Show wirkt auf den ersten Blick wie eine Art Kuriositäten-Kabinett. Keines der präsentierten Outfits ist klassisch schön – jeder Look tut etwas weh, wenn er sich einem auf die Netzhaut drückt. Diese Provokation ist offensichtlich gewollt. Umso verwirrender ist es, wenn am Ende der Show die unscheinbare Designerin auf die Bühne huscht: Die junge Frau trägt ein hellgelbes hochgeschlossenes Oberteil mit einem Muster, das ein wenig an Oma-Strick erinnert, dazu eine Hose mit weiten Hosenbeinen, wie man sie in Berlin in jedem Studenten-Café sieht. Sie hat lange rote Haare und trägt ein dezentes Make up – die junge Frau sieht komplett unscheinbar aus. Einzig ihre Augenbrauen-Piercings und ihre schwarzen Stiefel – mit denen sie problemlos ins Berliner Berghain kommen würde – fallen ins Auge.
Diese junge Frau möchte also Frauenmode „für alle“ machen. Ausgedacht hat sie sich das womöglich, als sie – so kann man online nachlesen – vor ein paar Jahren mehrere Monate in einer queeren Künstler-Kommune in South Carolina verbrachte. Was sie offenbar in ihrer Hyper-Diversitäts-Liebe nicht merkt: Ihre Mode „für alle“ ist gar nicht wirklich für alle. Zwischen fettleibigen, rollstuhlfahrenden und offenbar biologisch männlichen Frauen-Models ist eine Frauengruppe geradezu bedrückend abwesend: gewöhnliche Frauen, wie die Designerin selbst eine ist. Die neue Frauenmode ist offenbar doch nicht für alle Frauen gedacht – wenn das so weiter geht, sollte ich wohl lieber lernen, mit einer Nähmaschine umzugehen.