Einem Beamten der Berliner Polizei wird vorgeworfen, unverhältnismäßige Gewalt gegen die Aktivisten der „Letzten Generation“ angewandt zu haben. Auslöser ist ein Video von Donnerstag, das die Anwendung von Schmerzgriffen zeigt. Dabei zeigt der Umgang der Polizei mit den Klima-Blockaden vom Montagmorgen vor allem eins: Ihre Mittel sind zu milde.
„Folter!“, „Polizeigewalt!“, „Dystopische Schmerzgriffe“ – all das wurde der Berliner Polizei am Wochenende vorgeworfen. Auslöser war ein Video von MDR investigativ, auf dem zu sehen ist, wie ein Polizist einen Klimakleber der „Letzten Generation“ mit Schmerzgriffen dazu zwingt, die Straße zu räumen. Die Aufnahme ist vom vergangenen Donnerstag und zeigt auch, dass der Polizist den Aktivisten mehrmals vorher aufgefordert hatte, selbstständig die Straße zu verlassen.
„Wenn ich Ihnen Schmerzen zufüge, wenn Sie mich dazu zwingen, werden Sie die nächsten Tage – nicht nur heute – Schmerzen beim Kauen und beim Schlucken haben“, erklärte der Polizist dem Klimakleber. Als dieser nicht reagierte, packte der Polizist ihn zusammen mit einem Kollegen und trug ihn von der Straße. Dabei wandte der Polizist mehrere Schmerzgriffe an – der Demonstrant schrie laut und schrill, verdrehte sich allerdings augenscheinlich auch gegen die Zwangsgriffe, wodurch das Wegtragen weiter erschwert wurde.
Medien entschieden: Polizist handelte unverhältnismäßig
Verschiedene Medienhäuser waren sich schnell einig: Das Vorgehen des Polizisten war unverhältnismäßig. MDR Investigativ teilte das hauseigene Video mit dem Titel „Polizeigewalt gegen Klimaaktivisten?“ und zitierte am Ende des Videos den Kriminologen Tobias Singelnstein: „Die Polizei muss immer prüfen, was das mildeste Mittel ist, um ihr Ziel zu erreichen. Bei solchen friedlichen Sitzblockaden wird das Wegtragen in aller Regel das mildere Mittel sein. Schmerzgriffe sind daher aus rechtlicher Sicht kein probates Mittel.“ Diese Aussage wurde großformatig unter anderem von der ZEIT übernommen.
Die Berliner Zeitung titelte: „Wird hier ein Aktivist gefoltert oder nicht?“ und nahm damit die Beschuldigungen verschiedener Twitter-Nutzer auf, die dem Polizisten Folter vorwarfen. Zu den Anklägern gehörten unter anderem Ex-Grünen-Vorsitzende Jutta Ditfurth, Grünenpolitiker Sebastian Striegel, Shooting-Star der Linksextremisten Emily Laquer und Pressesprecher von „Extinction Rebellion“ Tino Pfaff.
Die Berliner Polizei hält sich zurück
Die Berliner Polizei hielt sich vorerst zurück. Auf Twitter schrieb sie am Samstag: „Aktuell kursiert im Netz ein Video, das eine Zwangsmaßnahme eines Kollegen im Zusammenhang mit den Klimaprotesten am 20.04. zeigt. Das Video ist hier bekannt und wird geprüft“ – man ist wohl vorsichtig im Bundesland, dessen neugewählte GroKo gerade das „Antidiskriminierungsgesetz“ verlängert hat, also die Beweislastumkehr bei Diskriminierungsvorwürfen an Polizisten.
Aber nicht alle bei der Polizei sind still: Manuel Ostermann, stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG-Bundespolizeigewerkschaft, verteidigte seinen Kollegen am Samstag mit deutlichen Worten im Tagesspiegel: „Der Störer kam der Aufforderung im Vorfeld nicht nach und daraus resultierend wurde das nächstmildeste und geeignete Mittel gewählt. […] Für mich ist hier alles sauber und gut abgearbeitet.“
Generell scheint man bei der Berliner Polizei im Umgang mit den Klimaklebern äußerst vorsichtig zu sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass am Montagmorgen ein Krankenwagen anderthalb Stunden wegen einer Autobahn-Blockade der „Letzten Generation“ im Stau stand – und die Polizei sich reichlich Zeit ließ, die Straße wieder frei zu räumen. Schon seit ca. 8:30 Uhr steckte der Rettungswagen mit Blaulicht auf der A100 fest – erst gegen 11:00 Uhr twitterte die Berliner Polizei, dass sie die Blockade beseitigt habe. Das sind zweieinhalb Stunden, in denen die Polizei sich offenbar nicht durchringen konnte, ein paar Klimakleber von der Stadtautobahn zu entfernen. Zweieinhalb Stunden, in denen es offenbar wichtiger war, es sich nicht mit der Klimabewegung und ihren mächtigen Anhängern zu verscherzen, als potentiell gefährdete Menschenleben zu retten.
Zweieinhalb Stunden, um eine Blockade zu beenden
Auf Bildern der Blockade lässt sich erkennen, dass die „Letzte Generation“ gezielt mit zwei auf der Autobahn geparkten Autos die Bildung einer Rettungsgasse verhindert hatte. Für die Polizei wäre es ein Leichtes gewesen, die besagten Autos zu beschlagnahmen und wegzufahren. Doch stattdessen wartet man zweieinhalb Stunden – auf was? Darauf, dass irgendwann so viele Rettungswägen gleichzeitig von den Klimaklebern blockiert sind, dass auch die Linken ein Auflösen der Blockade tolerieren? Mehr als 15 Notarztfahrzeuge waren am Montagmorgen wegen der Klima-Blockaden nicht zu ihrem Einsatzort gekommen. Laut der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft konnte zeitweise „eine nicht unerhebliche Anzahl von Einsätzen und Einsatzstellen nachweislich nur verzögert erreicht werden“.
Jetzt mal Klartext, ihr Klimaterroristen: Bei einem Notarzt-Einsatz zählt jede Sekunde. Der Zeitraum, der zwischen Notruf und Eintreffen des Einsatzfahrzeuges vergeht, kann über Leben und Tod entscheiden. Darüber, ob jemand mit Herzinfarkt rechtzeitig reanimiert werden kann und so dem Tod noch einmal von der Schippe springt. Oder darüber, ob jemand mit Schlaganfall für immer halbseitig gelähmt ist oder nur eine Weile hinkt. „Time is brain“, sagt man in der Notaufnahme, wenn es um die Behandlung von Schlaganfall-Patienten geht, denn: In jeder Sekunde, in der ein Schlaganfall unbehandelt bleibt, wird mehr Gehirngewebe unwiderruflich zerstört.
Es lässt sich schwer erklären, warum der Klimaterror der „Letzten Generation“ schützenswerter sein soll, als Gesundheit und Leben von Millionen Berlinern. Es wäre endlich an der Zeit, dass die Berliner Polizei sich wieder mehr für die Belange der Mehrheit der Bürger einsetzt. Dafür müsste die Polizei im Zweifel mehr Gewalt einsetzen, nicht weniger.