- Der Skandal um „gekaufte Journalisten“ weitet sich aus: Weit mehr Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ließen sich von der Bundesregierung bezahlen als bisher bekannt
- Pleiteticker.de deckt nun zahlreiche weitere Namen auf: Johannes B. Kerner, Eckart von Hirschhausen und Florian Schroeder
- Insgesamt kassierten ÖRR-Journalisten 664.768,08 Euro mehr als bisher gedacht – insgesamt 1,54 Millionen Euro
Von Sven Versteegen, Jonas Aston und Max Mannhart.
Vor wenigen Wochen deckte Pleiteticker.de auf, dass zahlreiche hochrangige Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich für Moderationen und ähnliche Tätigkeiten von der Bundesregierung bezahlen ließen. Wir konnten exklusiv bekannte Persönlichkeiten wie die ehemalige tagesschau-Sprecherin Judith Rakers oder die stellvertretende ZDF-Chefin Anne Gellinek als bezahlte Journalisten identifizieren.
Grundlage der Pleiteticker.de-Recherche (lesen Sie hier mehr) war die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion. Diese Antwort war jedoch unvollständig. Aufträge die das Außenministerium oder das Innenministerium an Journalisten vergab, fehlten in der Antwort komplett. Diese und andere Angaben wurden nun von der Bundesregierung ergänzt. Mithilfe dieser Informationen konnten wir weitere Journalisten identifizieren, die sich für Moderationen und Ähnliches von der Bundesregierung bezahlen ließen.
Die Summe stieg damit von 1,47 Millionen Euro auf 2,13 Millionen Euro. Außerdem offen sind Hunderte Moderationstätigkeiten auf Veranstaltungen der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Um die Zusammenarbeit mit Journalisten für den abgefragten Zeitraum zu beziffern, fehle es dem BpB an Zeit, dafür wäre eine Große Anfrage nötig.
„Journalist 142“ – Mirko Drotschmann
Unsere Recherchen ergeben, dass sich hinter „Journalist 142“ Mirko Drotschmann verbirgt. Als „Mr. Wissen2Go“ ist er einer der erfolgreichsten YouTuber im deutschsprachigen Raum, erreicht mit seinen Videos zu Politik und Geschichte Millionen junger Zuschauer. Er ist Teil des öffentlich-rechtlich finanzierten Youtuber-Netzwerkes Funk. Mittlerweile arbeitet er auch direkt für das ZDF und moderiert dort die Sendung „TerraX“. In der Vergangenheit war Drotschmann auch für den MDR tätig.
Im Mai 2021 veröffentlichte das Auswärtige Amt ein Video mit Drotschmann. Er moderiert dort über 30 Minuten zum Thema der transatlantischen Beziehungen mit den USA. Auf Anfrage von Pleiteticker.de gibt Drotschmann an, für den Aufwand ein Honorar erhalten zu haben. Dieses habe er jedoch zur Gewährleistung der Staatsferne und wirtschaftlichen Unabhängigkeit „in voller Höhe gespendet.“
„Journalist 120“ – Johannes B. Kerner
Ebenfalls tätig für die Bundesregierung: „Journalist 120“ alias Johannes B. Kerner. Kerner moderierte über Jahre das aktuelle Sportstudio und die nach ihm benannte Show Johannes B. Kerner. Von der Bundesregierung hat Kerner mehrere Honorare erhalten. Jeweils im November der Jahre 2018, 2019 und 2022 trat Johannes B. Kerner als Moderator von Musikfesten der Bundeswehr auf.
Über die Höhe der Zahlungen herrscht jedoch Schweigen. „Bei der Honorarzahlung für den Journalisten 120 wurde Vertraulichkeit vereinbart“, heißt es in der ergänzten Antwort der Bundesregierung. Zuvor verschleierte die Bundesregierung ihre Aussage hinter einer Generalklausel, die zumindest missverständlich war. Erst in der ergänzenden Antwort wurde das BMVg präziser. Auf Nachfrage wie hoch das Honorar ausfiel, äußerte sich das Management des langjährigen ZDF-Moderators bisher nicht. Kerner ist der einzige von insgesamt 267 Journalisten über dessen Honorarzahlungen Vertraulichkeit vereinbart wurde.
Im Dezember 2021 äußerte Kerner sich gegenüber t-online zu Corona und zu der damaligen Impfdebatte: „Es bleibt eine individuelle Entscheidung“, meinte der Moderator. „Rund 80 Prozent der Deutschen haben die, wie ich finde, richtige Entscheidung getroffen. Ich bin zweifach geimpft und werde mich beizeiten boostern lassen.“
„Journalist 34“ – Eckart von Hirschhausen
Pleiteticker.de konnte aufdecken, dass es sich bei „Journalist 34“ um Eckart von Hirschhausen handelt. Eckart von Hirschhausen moderierte eine Veranstaltung für das Entwicklungsministerium (BMZ). Zudem erstellte er einen kurzen Videobeitrag für „Social Media“, in dem er drei Fragen über die 17 Nachhaltigkeitsziele beantwortet und trat in einem Gespräch mit Maria Flachsbarth auf. Für seine Auftritte für das BMZ erhielt Hirschhausen insgesamt 4812,44 Euro. Auf Anfrage von Pleiteticker.de möchte sich das BMZ nicht äußern und verweist auf Datenschutz – eine inhaltliche Beantwortung unserer Frage sei „nicht möglich.“
Als „Journalist 34“ konnten wir Eckart von Hirschhausen jedoch erst mithilfe der neuen Informationen entlarven. Demzufolge moderierte ein Journalist, der unter anderem für 3sat, ARD und WDR tätig ist, eine Veranstaltung im April 2021. Nach Pleiteticker.de Recherchen kommt hierfür nur Eckart von Hirschhausen in Betracht. Hirschhausen moderierte im April 2021 die Veranstaltung: „Ist der COVID-Impfstoff global gerecht verteilt? COVAX und die deutsche Impfdiplomatie“.
Wie viel Geld Eckart von Hirschhausen für diese Tätigkeit genau erhalten hat ist unklar. Eckart von Hirschhausen taucht in einer längeren Liste von Journalisten auf, bei welchen nicht die einzelnen Honorare, sondern lediglich die Gesamtvergütung aufgeführt wird. Im Schnitt erhielten die Journalisten vom Auswärtigen Amt 1.923,12 Euro. Wegen von Hirschhausens Prominenz ist durchaus eine höhere Vergütung denkbar.
Impfpflicht-Befürworter: Hirschhausen trat in der Pandemie wiederholt mit ärztlicher Autorität auf. Unter anderem forderte er eine Impfpflicht, diese wäre „eine Erleichterung für viele Zögerlichen“. Es sei besser Menschen gegen ihren Willen zu impfen, „als weiter diese Pandemie der Ungeimpften mit allen Kollateralschäden laufen zu lassen.“ Ärzten, die sich gegen die Corona-Impfung aussprachen, wollte er damals die Approbation entziehen.
„Journalist 76“ – Anke Plättner
Bislang hat Anke Plättner dreimal die BKA-Herbsttagung geleitet, und zwar 2019, 2021 und zuletzt im November 2022. Laut Informationen des Bundesinnenministeriums, hat das Bundeskriminalamt (BKA) für ihre Moderationen insgesamt 53.068,91 Euro an öffentlichen Geldern ausgegeben, wie die Tagesschau berichtet. Außerdem moderierte sie zwei weitere Male für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Konkret geht es hier um die Veranstaltungen „Festakt 20 Jahre Bio-Siegel“ vom 22. Juni 2021 sowie eine Moderation für das „Zukunftsforum Ländliche Entwicklung 2021“ vom 20. und 21. Januar 2021, wie ein Sprecher des BMEL gegenüber Pleiteticker.de erklärte. Wie viel Geld Plättner für die Moderationen erhielt, teilte uns das BMEL auf Nachfrage nicht mit.
Plättner moderiert die WDR-Fernsehsendung „eins zu eins“ und führt regelmäßig Interviews für das ARD-Morgenmagazin. Seit September 2015 ist sie zudem als Moderatorin der Talkshow „Phoenix Runde“ tätig.
„Journalist 140“ – Robin Blase
Als Moderator erscheint Robin Blase in acht Videos der YouTube-Serie „Diplomatie im Dialog #Diplotalk“ des Auswärtigen Amtes. Dabei redet er mit Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, unter anderem mit dem damaligen Außenminister Heiko Maas (SPD). Für das öffentlich-rechtliche Jugendangebot Funk erstellt Blase auf dem YouTube-Kanal „follow me.reports“ Reportagen. Auch Heiko Maas wurde in einer Reportage porträtiert.
Blase ist außerdem in einem Kurzvideo des Bundesfinanzministeriums zu sehen, in dem er die Grundsteuer erklärt. In der ergänzenden Antwort der Bundesregierung ist das Video nicht gelistet.
„Journalist 145“ – Leeroy Matata
Für die Frage „Wie wird man Diplomat:in?“ engagierte das Auswärtige Amt den YouTuber Leeroy Matata ebenfalls für die „Diplomatie im Dialog“-Serie. Seit 2020 arbeitet Matata (bürgerlich Marcel Gerber) für den SWR. Mit seinem YouTube-Format „Leeroy will’s wissen!“ bei Funk erlangte er deutschlandweite Bekanntheit. Mittlerweile hat Matata Funk wieder verlassen.
Einer von vielen – Florian Schroeder
Das 70-jährige Jubiläum der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) wurde von Florian Schroeder (ARD) und Laura Maria Weber (n-tv) moderiert. Schroeder arbeitet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. „Die Florian Schroeder Satireshow“ läuft in Programmen der ARD. Zudem war der Kabarettist bereits mehrfach Gast bei „hart aber fair“, Markus Lanz, dem „Kölner Treff“, der NDR-Talk Show und „Menschen bei Maischberger“. Schroeder erklärte im November 2021 mit Blick auf die Ungeimpften: „Die Gesellschaft sollte nicht für ein paar Unbelehrbare bluten“.
Bundeszentrale für politische Bildung – zu viele Veranstaltungen um sie aufzuführen
Schroeder und Weber gehören zu einer unbekannten Zahl an Journalisten, welche für die Bundeszentrale für politische Bildung tätig geworden sind. Für die bpb, eine dem Bundesministerium für Inneres und Heimat unterstellte Behörde, haben verschiedenste Journalisten „zahlreiche Beiträge“ erstellt. Hinzu kommen „Moderationstätigkeiten auf Veranstaltungen oder Foren, von denen die bpb jährlich ca. 300-400 als Eigen- oder Kooperationsveranstaltungen durchführt“.
Wegen dieser schieren Masse an Veranstaltungen und Beiträgen sei eine Auflistung „in der zur Verfügung stehenden Zeit einer Kleinen Anfrage“ nicht möglich. Aus diesem Grund ist Florian Schroeder nicht explizit mit einer Nummer benannt und auch die Höhe seines Honorars kann deswegen nicht abgeschätzt werden. Auf Nachfrage, wie viel Geld Schroeder für die Moderation erhielt, antwortete uns das Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI) nicht.
1,54 Millionen Euro für Journalisten von ARD und ZDF
Auf Basis der ersten Antwort der Bundesregierung wurden Zahlungen in Höhe von „nur“ 1,47 Millionen Euro öffentlich. Durch die ergänzende Antwort der Bundesregierung ist die Summe nun auf 2,13 Millionen Euro angewachsen. Allein 1,54 Millionen Euro, rund 72 Prozent aller Zahlungen, flossen an Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hiermit dürfte der Skandal in seiner gesamten Tragweite jedoch noch längst nicht erfasst worden sein.