- Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat die „lückenlose Aufklärung“ der Vorwürfe gegen Til Schweiger gefordert.
- Die Einmischung der Grünen-Politikerin irritiert genauso wie der Zeitpunkt, zu dem die Anschuldigungen gegen Schweiger losgetreten wurden.
- Langsam fühlt man sich an die Zersetzungsmethoden der Stasi erinnert.
Es ist erst wenige Jahrzehnte her, dass die Stasi ihre politischen Gegner systematisch vernichtet hat. Systemkritiker wurden nicht nur willkürlich inhaftiert und gefoltert – oft setzte das Ministerium für Staatssicherheit schon vorher eine Reihe psychologischer Zermürbungsmethoden ein, um den Widerstand ihrer Zielobjekte zu brechen. So streuten Stasi-Mitarbeiter beispielsweise gezielt diskreditierende Gerüchte im sozialen Umfeld von (wie sie es bezeichneten) „Feinden des Sozialismus“. Sie verhinderten, dass betroffene Personen studieren konnten oder bewirkten, dass sie wegen wegen fadenscheiniger Gründe von ihrem Arbeitgeber entlassen wurden. Das plötzliche Misstrauen engster Vertrauter, die verächtlichen Blicke von Nachbarn und Arbeitskollegen und die versperrten Zukunftschancen trieben viele DDR-Kritiker mit der Zeit in die Verzweiflung, manche nahmen sich in ihrer Not sogar das Leben. Diese Stasi-Methoden sind unter dem Begriff „Zersetzung“ bekannt.
An diese Zersetzung fühlt man sich erinnert, wenn man die aktuelle Berichterstattung über Til Schweiger verfolgt. Angestoßen von einem „Enthüllungsartikel“ des Spiegel läuft seit Tagen eine mediale Vernichtungskampagne gegen den Filmemacher, die sich – das muss immer wieder betont werden – zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich auf unbelegte Aussagen ehemaliger Mitarbeiter stützt. Diese werfen ihm unter anderem Alkoholkonsum am Filmset sowie Gewaltausbrüche, Schikane von Kollegen und unzumutbare Arbeitsbedingungen vor.
Für Roth ist Schweiger ein „patriarchaler Macker“
Inzwischen hat sich auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu dem Fall geäußert. Am Dienstag schoss die Grünen-Politikerin bei einem Pressegespräch gegen Schweiger: „Die Zeiten patriarchalischer Macker, die ihre Machtposition in übelster Form ausnutzen, sollten wirklich vorbei sein. Auch wenn das offenkundig noch nicht alle verstanden haben.“ Auch „künstlerische Genies – oder angeblich künstlerische Genies“ – stünden laut Roth „nicht über Recht und Gesetz“. Man möchte ihr entgegnen: Aber auch für „patriarchalische Macker“ gilt das Recht auf Unschuldsvermutung.
Von Schweigers Produktionsfirma Constantin Film fordert Roth „lückenlose Aufklärung“. Darüber hinaus verlangt sie von der Kulturbranche, sich unter Federführung des Kulturrats einen Verhaltenskodex – als verbindliche Selbstverpflichtung der Branche – zu geben. Sollte diese keine „entsprechende durchgreifende Wirkung zeigen“, drohe den Produzenten der Entzug der Filmfördergelder des Bundes. Dabei handelt es sich um Millionensummen.
Dass sich eine Politikerin derartig scharf gegenüber einer Person des öffentlichen Lebens äußert, ist irritierend. Zumal, wie bereits gesagt, keiner der Vorwürfe gegen Schweiger bisher zur Anzeige gebracht oder nach allgemeinen journalistischen Standards belegt wurde. Seltsam ist außerdem, dass keine der Anschuldigungen gegen Schweiger aktuell ist. Im Gegenteil: Immer wieder ist in der Berichterstattung von seit Jahren bekannten Zuständen an den Filmsets von Til Schweiger die Rede. Sogar der Faustschlag ins Gesicht eines Mitarbeiters, der Schweiger konkret im Spiegel-Artikel vorgeworfen wird, soll bereits im Juli letzten Jahres stattgefunden haben.
Schweiger kritisierte die Grünen – dann kam der Angriff
Man fragt sich, warum gerade jetzt der Mehrfronten-Angriff auf Schweiger gestartet wird. Schaut man sich die Medienberichte über Schweiger kurz vor Erscheinen der Spiegel-Artikels an, fällt auf: Erst Ende März hatte Schweiger öffentlich die Grünen und die Klimabewegung kritisiert. Im Interview mit Bild bezeichnete er die Klimakleber als „Vollidioten“, über die Bundesregierung sagte er:
„Fast die ganze Regierung würde in der freien Wirtschaft niemals dieses Geld verdienen – deswegen sind sie ja Politiker geworden.“ Die Vorsitzende der Grünen habe noch nicht mal ein abgeschlossenes Studium. Trotzdem bekämen sie und ihre Kollegen 20 000 Euro im Monat. „Und wer bezahlt das?“, fragt Schweiger. Antwort: „Das Volk.“ Auch den grünen Wirtschaftsminister griff Schweiger an: „Ich fände es toll, wenn Robert Habeck sich selber festkleben würde.“ Dann könne er nicht so viel Mist verzapfen. Von Wirtschaft habe Habeck laut Schweiger „keine Ahnung“. Ob man Schweiger nun mag oder nicht – in diesen Punkten kann man ihm nur zustimmen.
Die Vernichtung von Systemkritikern ist wieder en vogue
Fakt ist: Til Schweiger fällt schon länger aus dem woken Raster der Kulturszene. Während der Corona-Pandemie machte der Filmemacher mit impfskeptischen Aussagen Schlagzeilen. Vielleicht ist er mit der Grünen-Kritik in den Augen der linksgrünen Meinungsdiktatoren einen Schritt zu weit gegangen. Vielleicht haben sich die „MeToo“-Kämpfer in Politik und Medien aber auch nur über die Gelegenheit gefreut, einen weiteren einflussreichen „alten, weißen Mann“ öffentlich vernichten zu können. In jedem Fall wird deutlich: Über dreißig Jahre nach dem Mauerfall ist die kompromisslose Vernichtung von Systemkritikern in Politik und Medien wieder ein probates Mittel geworden. Spätestens das Einschreiten Roths lässt vermuten: Die Zersetzung Schweigers ist in vollem Gange.