Skepsis gegenüber ,denen in Berlin’ hat in der ehemaligen DDR Tradition, meint der Historiker Hubertus Knabe. Damit erklärt er sich auch die Russland-Nähe vieler Menschen im Osten. Motto: „Und wenn Herr Scholz für die Ukraine ist, dann müssen wir dagegen sein.“
Der Historiker und langjährige Leiter der Gedenkstätte im früheren Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, sieht die Russland-Nähe vieler Ostdeutscher als eine Trotzreaktion auf die aktuelle Politik der Bundesregierung. Im Gespräch mit der Interview-Plattform „Schuler! Fragen, was ist“ sagte Knabe: „Wenn man es sich leicht macht, würde man sagen: Das ist das Stockholm-Syndrom. Man hat es halt verinnerlicht, Knecht von der Sowjetunion oder Russlands zu sein. (…) Das hat meiner Meinung nach eine etwas andere Ursache: nämlich eine General-Misstrauen gegenüber der Bundesregierung, den Medien, den großen Medien, was dazu führt, dass nicht nur in der Frage der Migration praktisch geleugnet wird, was da verbreitet wird oder in der Corona-Pandemie, sondern es wird jetzt auch auf dieses Thema, auf den Ukraine-Krieg, übertragen. Nach dem Motto: Denen kann man sowieso nicht trauen. Und wenn Herr Scholz für die Ukraine ist, dann müssen wir dagegen sein. Das ist letztlich der Schlüssel für dieses Phänomen. Eine Art Trotz.“
Er glaube nicht, dass die anhaltende Kritik etwa am Wahlverhalten der Ostdeutschen zielführend sei, sagte Knabe. „Dass man der Regierung in Berlin misstraut, das hat eine sehr lange Tradition in der DDR, und die setzt sich heute fort. Und dass man auf die Straße gehen muss, wenn man etwas verändern will, das ist sicher auch eine wichtige Erfahrung. Ich glaube, dass dieses Ossi-Bashing, wie man neudeutsch sagt, nicht zielführend ist. Man muss schauen: Warum demonstrieren die Menschen, was stört sie und wie kann man diese Missstände beheben.“
Dass die etablierten Parteien im Osten mit ihrer Strategie zur Verdrängung der AfD oft erfolglos seien, begründet Knabe damit, dass Ausgrenzung als verletzend empfunden werde. „Weil es eine Politik ist, die große Teile der Bevölkerung ausgrenzt. Man sagt, diese Leute sind auf dem Holzweg, die sind rechtsradikal oder Verschwörungstheoretiker. Wir haben in den letzten Jahren ganz neue Begriffe in die politische Kommunikation eingeführt: Covidioten, Verschwörungstheoretiker, Nazis gibt es schon länger. Aber viele Worte kannten wir früher gar nicht, und sie dienen nur dem einzigen Zweck, den anderen aus dem Diskurs zu schmeißen oder so zu diskreditieren, dass man mit ihm nicht mehr reden muss. Das löst natürlich nicht den Unmut auf.“