
Kommentar von Sven Versteegen
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, ist besorgt um die Auswirkungen der Inflation. Doch das war nicht immer so. Vor nur einem Jahr war eine höhere Inflation für ihn noch „willkommen“.
Vor knapp einem Jahr veröffentliche das Handelsblatt einen Gastbeitrag von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Beitrag kam zu einer Zeit, in der die ersten Deutschen schon die Teuerung spürten – damals getrieben von der CO2-Steuer und anderen klimapolitischen Instrumenten. „Die höhere Inflation ist willkommen”, heißt es im Titel des Gastkommentars. Das besonders einkommensschwache Menschen von einer Inflation betroffen sind, wird abgetan mit den viel größeren Kosten, welche durch den Klimawandel verursacht werden (könnten).
„Nicht Klimaschutz und CO2-Preis führen zu Problemen”, sondern die Folgen des Klimawandels, so der DIW-Präsident. Tatsächlich begrüßte Marcel Fratzscher die vom CO2-Preis getriebene Inflation. „Preise sollen das schädliche Verhalten von Unternehmen und Menschen […] in Zukunft besser widerspiegeln.” Ängste zu schüren hingegen sei „populistisch und falsch”, wie er in dem Blog des DIW veröffentlichte. Noch Anfang des Jahres, kurz vor dem russischem Überfall auf die Ukraine versicherte er gegenüber dem MDR : „es gibt […] überhaupt keinen Grund für eine Inflationspanik.”
Der Wendepunkt: Aus guter, wird schlechte Inflation
Während eines Gesprächs mit RTL im Oktober diesen Jahres kam dann der Wendepunkt. „Wir werden nie wieder normale Zeiten haben“, so Fratzscher – „diese Energiekrise wird die Struktur unseres Wohlstands, unserer Wirtschaft, unsere Arbeitsplätze grundlegend verändern.“ Nachdem er sie zuvor begrüßt hat, sorgt Fratzscher sich nun also um die Inflation und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er spricht von steigenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten, also genau von dem, wovor seine Kritiker vor einem Jahr warnten.
Die Inflation treffe die unteren Einkommen laut Fratzscher dreimal stärker als die hohen Einkommen. Grund dafür sei, dass die unteren Einkommen bereits den Großteil ihres verfügbaren Einkommens für die Grundsicherung ausgeben. „Die rekordhohe Inflation zum Beispiel wirkt extrem unsozial, weil Menschen mit geringem Einkommen viel stärker darunter leiden.“ Hinzukommt, dass bereits 40 Prozent der Menschen ihre Rücklagen erschöpft haben und weitere Ausgaben somit nicht stemmen können.
In der Wirtschaft zeichne sich laut Fratzscher ein ähnliches Bild ab. „Die Großen fahren zum Teil auch in diesen Zeiten dicke Gewinne ein, während viele Mittelständler die Kleinen, die Bäckerei um die Ecke, kaum mehr über die Runden kommen.” Deshalb fordert er eine „zielgerichtete Verteilungspolitik”, anstatt Geld an jeden zu verteilen. Nach seinen gescheiterten Prognosen greift Fratzscher nun also zu einem altbewährten Mittel: staatliche Umverteilung.
Die Realisierung, dass diese Krise in großem Maße hausgemacht ist, bleibt aus. Trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, verlässt sich die Bundesregierung unter Olaf Scholz weiterhin auf die Weisheiten Marcel Fratzschers.