Eine Liste der Bundesregierung zeigt: 200 Journalisten – zu großen Teilen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk – haben seit 2018 für die Regierung gearbeitet und dafür üppige Honorare kassiert. Wir haben zahlreiche brisante Namen recherchiert.

Bundesregierung und Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien – sie stecken noch mehr unter einer Decke als bislang bekannt. Bundesbehörden haben in den vergangenen fünf Jahren Journalistinnen und Journalisten mit teils horrenden Summen für Moderationen und andere Auftritte bezahlt.
Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine aktuelle Anfrage von AfD-Abgeordneten. In dieser wird ausgewiesen, welche Honorare die Bundesministerien Journalisten in den vergangenen fünf Jahren für Auftritte zahlten – etwa bei Moderationen, Teilnahmen an Podiumsdiskussionen oder Medientrainings. In dem Dokument, das Pleiteticker vorliegt, sind Namen allerdings anonymisiert und durch Nummern ersetzt. Doch bei unseren Recherchen sind wir auf die geheimen Details gestoßen. Und auf einige prominente Journalisten…
Tagesschau-Moderatorin Judith Rakers
Nach unseren Recherchen verbirgt sich auch eine der bekanntesten Tagesschau-Moderatorinnen des Landes hinter einer der Tarn-Bezeichnungen, nämlich Judith Rakers. Rakers moderierte am 16. März 2019 eine Veranstaltung im Arbeitsministerium mit Hubertus Heil. Am 1. Dezember 2020 moderierte sie eine Veranstaltung für das Wirtschaftsministerium. Das Ministerium von Hubertus Heil zahlte im Durchschnitt 4260 Euro, das Wirtschaftsministerium im Durchschnitt 5962, es geht also im Schnitt um rund 10.000 Euro Honorarzahlung. Die meisten Menschen in diesem Land müssen dafür mehr als zwei Monate arbeiten.
Auf Anfrage wollte sich Rakers gegenüber Pleiteticker bisher nicht zu dem Vorgang äußern.

„Journalist 97“ – Linda Zervakis
Ein weiterer prominenter Fall ist in dem Dokument als „Journalist 97“ geführt – es handelt sich unseren Recherchen zufolge um Linda Zervakis. Die Pro7-Moderatorin und ehemalige „Tagesschau“-Sprecherin hat von der Bundesregierung in den vergangenen Jahren wohl eine fünfstellige Honorar-Summe erhalten. Legt man durchschnittliche Honorare zugrunde, könnte Zervakis allein im Jahr 2022 mehr als 12.000 Euro vom Bundeskanzleramt und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration für Moderationsjobs bekommen haben – etwa auch bei der Veranstaltung „Deutschland. Einwanderungsland. Dialog für Teilhabe und Respekt“.

Hinzu kommen weitere Honorare, die in ihre Zeit beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk fallen. Während sie die ARD-„Tagesschau“ moderierte, wurde sie in den Jahren 2018, 2019 und 2020 auch vom Bundeskanzleramt für die Moderationen des Nationalen Integrationspreises mit Honoraren bedacht. Insgesamt belaufen sich Zervakis‘ Einnahmen für Moderationen von Organen der Bundesregierung schätzungsweise auf vermutlich mehr als 20.000 Euro. Vor wenigen Tagen war bereits publik geworden, dass Zervakis für ein 20-minütiges Interview auf der Digitalmesse re:publica mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mehr als 1.100 Euro erhalten hatte.

Auf Anfrage von Pleiteticker erklärte Linda Zervakis’ Management mit, dass sie bei den „benannten weiteren Veranstaltungen […] als Moderatorin, nicht als Journalistin, tätig geworden“ sei.
„Journalist 58“ – Anne Gellinek
Nach unseren Recherchen auch auf der Liste öffentlich-rechtlichen Journalisten in Diensten der Regierung: Anne Gellinek, die stellvertetende ZDF-Chefredakteurin und Leiterin der ZDF-Hauptredaktion. Sie moderierte wie auch Rakers für das Wirtschaftsministerium, das – wie schon erwähnt – im Schnitt fast 6000 für Honorare ausgibt. Auf Anfrage antwortete das ZDF, Frau Gellinek habe in ihrer Funktion als ZDF-Europa-Korrespondentin nur eine Diskussion zum Thema Energiepolitik in der Europäischen Union moderiert mit Ursula von der Leyen und Robert Habeck moderiert. Sie habe dafür kein Honorar entgegengenommen. In der Liste der Bundesregierung wird sie dennoch aufgeführt.

„Journalist 21“ – Monika Jones
Zu den Top-Verdienern dürfte laut der Liste Monika Jones gehören, die vor allem für die Deutsche Welle tätig ist. Mit Einsätzen für das Verkehrsministerium, das Landwirtschaftsministerium und das Bildungsministerium könnte sie auf Honorare in Höhe von über 40.000 Euro gekommen sein. Bis zum Veröffentlichungszeitpunkt hat Frau Jones dazu keine Stellung bezogen.
„Journalist 6“ – Anja Heyde
Ähnlich dürfte es sich unseren Informationen zufolge auch mit Anja Heyde verhalten, bekannt aus dem ZDF-Morgenmagazin – sie übernahm unseren Recherchen zufolge Aufträge aus fünf verschiedenen Ministerien, insbesondere aus dem Arbeits- und dem Justizministerium.

„Journalist 49“ – Angela Elis
In ähnliche Sphären dürfte wohl auch Angela Elis gelangt sein – früher bekannt dank ARD, ZDF und 3sat, jetzt freie Moderatorin und für fast alle Ministerien im Einsatz. Auf ihre Stellungnahme warten wir noch.

„Journalist 73“ – Andrea Thilo
Ebenfalls dabei ist Andrea Thilo, die einen großen Teil ihrer Karriere im öffentlich-rechtlichen Apparat verbracht hat. Gleich sieben Mal taucht sie auf der Liste der Bundesregierung auf, was ihr im Durchschnitt Honorare in Höhe von 40.000 Euro einbringen würde.

„Journalist 10“ – Shelly Kupferberg
Ein weiterer Fall, der auffällt: Shelly Kupferberg, bekannt durch Deutschlandradio und aus dem RBB. Sie arbeitete für vier Ministerien, was ihr Honorare von 20.000 Euro eingebracht haben könnte. Erst vor kurzem moderierte sie das Panel zum Start des Bündnisses gegen Sexismus vom Familienministerium.

875.231,92 Euro für ARD und ZDF
Insgesamt gingen 875.231,92 Euro an Journalisten von ARD, ZDF und Deutschlandradio. 596.596,55 Euro bekamen die, die bei privaten Medien arbeiten. 116 Journalisten, die Honorare von der Regierung bekamen, arbeiten laut Liste für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 84 für private Medien. Insgesamt zahlte die Bundesregierung 1.471.828,4 Euro an Journalisten.
Bemerkenswert: Am meisten Geld bekamen Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen laut Dokument vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (198.807,36 Euro), gefolgt von Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (143.102,87) und Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (142.081,04). Zum Vergleich: Vertreter privater Medien (Sender/Zeitungen) bekamen von den gleichen Ministerien teils deutlich weniger. Beim BMBF 96.232,40 Euro, beim BMWK 55.983,31 Euro. Die Namen der Minister, die seit 2018 am meisten Geld an Vertreter des ÖRR zahlten: Anja Karliczek, Peter Altmeier und Julia Klöckner (alle CDU), dann folgt Hubertus Heil (SPD).
Die exakten Beträge der Honorar-Zahlungen an Einzelne gehen aus der Auflistung der Bundesregierung nicht hervor. Als Maßstab haben wir den durchschnittlichen Betrag aller von einem Ministerium angegebenen, an öffentlich-rechtliche Journalisten gezahlten Honorare genommen.
Verfassungsrechtler Rupert Scholz: „Von Staatsferne und unabhängiger, kritischer Kontrolle politischen Handelns kann unter diesen Umständen keine Rede sein.“
Ein Skandal, findet der Verfassungsrechtler und frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU). Er sagte uns: „Der Vorgang ist hoch problematisch. Die Pressefreiheit ist verfassungsrechtlich notwendigerweise durch Unabhängigkeit von jeglichen staatlichen Organen und möglicher Einflussnahme staatlicher Stellen gekennzeichnet. Wenn Pressevertreter Honorare von Ministerien oder Kanzleramt erhalten, ist das ein Stück Korrumpierung dessen, was man die vierte Gewalt nennt. Von Staatsferne und unabhängiger, kritischer Kontrolle politischen Handelns kann unter diesen Umständen keine Rede sein.“
Sonia Seymour Mikich, ehemalige Chefredakteurin des Westdeutschen Rundfunks, hat über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mal gesagt: „Was für eine Errungenschaft: Angebote für alle, ohne damit Geld machen zu müssen, ohne Rücksicht auf den Staat oder mächtige Wirtschaftsgruppen.“ Gilt das wirklich? Oder gehen Anspruch und Wirklichkeit da deutlich auseinander?
Auf Anfrage keine Stellungnahmen
Wir haben alle Ministerien und betroffene öffentlich-rechtlichen Sender um eine Stellungnahme gebeten. Äußern wollte sich bis jetzt niemand. Das gleiche gilt für die oben genannten, in der Liste geführten Personen. Wir hätten gerne mit ihnen über die enge Verbindung zwischen Regierung und öffentlich-rechtlichem Journalismus gesprochen – sie äußerten sich aber bisher nicht zu unseren Recherchen.
Es ist klar: Öffentlich-rechtliche Journalisten, die wir alle bezahlen, damit sie unabhängig und staatsfern berichten, wurden von der Regierung gekauft.