In dem Prozess um einen Unfall mit einer fahrlässig geladenen Schusswaffe wird nun der Schauspieler Alec Baldwin als Mittäter angeklagt. Nicht zurecht, sondern als Sündenbock für alle, die sich ein Bullerbü auch im Kino wünschen. Denn Filme ohne Waffen sind nicht realistisch, wenn es sie in der Wirklichkeit noch tatsächlich gibt.

Von Karsten Kastelan
Erst einmal: Sicherheit an einem Filmset ist das allerhöchste Gebot. Ich weiß dies, weil ich auf Filmsets in den USA, Deutschland und der Ukraine gearbeitet habe. Was passierte also am 21. Oktober vergangenen Jahres?
Das Team probte eine Szene, in der Baldwin seine Waffe, einen Revolver, zieht und in die Richtung der Kamera abdrückt. Es war eine Probe und dies war der einzige Grund, warum der Regisseur Joel Souza und die Kamerafrau Halyna Hutchins überhaupt in der Schussrichtung standen. Beim Drehen der Szene wäre keine von ihnen in der Schussrichtung gewesen, auch wenn es sich um eine Platzpatrone in der Waffe gehandelt hätte.
Diesmal war es aber eine scharfe Patrone. Vollkommen indiskutabel bei weder Probe noch dem Dreh. Aber es gab sie am Set. Warum ist stark zu hinterfragen. Aber Baldwin wurde – und hier stimmen alle Zeugenaussagen überein – die Waffe mit dem Wort „cold“ übergeben. Was bedeutet, dass ihm etwas übergeben wurde, was angeblich (und nachgeprüft) so gefährlich ist, wie eine Banane. Solange man die Schale nach dem Verzehr nicht auf den Boden wirft.
Und hier kommen wir zum wirklichen Problem. Der Western „Rust“, um den es sich hier handelt, hatte ein mit ca. 6-7 Millionen US-Dollar ein (offiziell, an verfügbarem Geld gab es sicherlich nicht mehr als die Hälfte) anständiges Budget, aber es wurde wohl sehr an allen Ecken und Kanten gespart. Sicherheitsbedenken wurden mehrfach angemeldet, mehrere Leute kündigten. Wohl gerade Fachleute, die für die Sicherheit zuständig waren. Daran Mag Alec Baldwin als Produzent auch Schuld gewesen sein, aber IMDB zählt allein fünf weitere Hauptproduzenten. Und die hatten mit den Dreharbeiten zu tun – Stars bekommen den Titel nebenbei und keiner fragt sie, warum das Catering so schlecht sei.
Aber er ist halt immer noch ein Star und nun der große Buhmann für ein anderes Thema, das leider kurz nach dem Unfall hochschwappte. Mehrere Verbände waren nämlich der Meinung, scharfe Schusswaffen komplett von Filmsets zu verbannen. Was erst einmal recht sinnvoll klingt, aber – nach genauerer Betrachtung – keinen Sinn macht.
Erst einmal gibt es in den USA nur scharfe Schusswaffen. Die „Schreckschusspistole“ in Deutschland ist tatsächlich nur der Tatsache geschuldet, dass es in diesem Land nach der Nazizeit keine Schusswaffen geben dürfte. Zumindest nicht ohne weitreichende Ausnahmen. Eine hier erwerbliche Schreckschusswaffe ist mehr oder weniger deckungsgleich mit einer regulären Waffe, hat aber einen festen Bolzen im Lauf montiert, der sicherstellt, dass man damit keine scharte Munition abschießen kann.
Okay, kann man, aber dann hat man eine Hand weniger. Kann man also nur zweimal.
Das mit dem einfach digital nachzustellenden Mündungsfeuer gilt allerdings nur für Revolver. Da kann man das Mündungsfeuer leicht digital draufsetzen. Aber Automatikpistolen, Repetiergewehre und Maschinengewehre brauchen den Rückstoß. Ansonsten bleibt es bei einem Schuss – und wir wissen aus Filmen und Serien, das da aus derselben Waffe öfter geschossen wird.
Und nun zurück zu dem, was es den normalen Bürger angeht, der wahrscheinlich keine Schusswaffe besitzt. Hier geht es um kulturelle Hoheit – und darum, einen möglichst prominenten Mann an den Pranger zu stellen, für etwas, was er nicht zu verantworten hat?
Die Verantwortung liegt – und da muss man einmal lachen – bei den Verantwortlichen.
Jetzt aber plötzlich Schusswaffen so zu verbannen, wie es manche Verbände unlängst von Zigaretten fordern, ist kultureller Blödsinn. Alec Baldwin hat den Auslöser der Pistole betätigt. Das ist unstrittig. Ihn aber zu einem Sündenbock für jede Schusswaffe in jedem Film zu machen, ist hochgradig idiotisch.
Und das würde dazu führen, dass Filme nicht abbilden dürfen, was ist. Sondern nur, was sein soll. Baldwin ist nur ein Bauernopfer für das geworden, was gewollt ist. Ein regenbogenfarbenes Bullerbü ohne Waffen.
Ich bin sicher, dass die Anzahl der Messerangriffe auch zurückgehen wird, solange sie niemand mehr im Kino sieht.
Karsten Kastelan ist Film- und Medienkorrespondent und schrieb für eine Vielzahl von Medien, u.a. The Hollywood Reporter, Moving Pictures und DIE WELT.