Von Willi Haentjes und Sebastian Karadshow
Was zwei Weltkriege und die DDR nicht geschafft haben, schafft jetzt die Energiekrise: Die Firma Bodeta aus Oschersleben bei Magdeburg steht vor dem finalen Aus. Die kleinen grünen Eukalyptus-Bonbons sind einer der wenigen Exportschlager, die es nach der Wende in die Supermarktregale des Westens geschafft haben und dort bis heute ausliegen.
EIN ORTSBESUCH BEI DER KULT-FIRMA, BEI DER WEITER PRODUZIERT WIRD – ABER KEINER WEISS, WIE LANGE NOCH.
Als Geschäftsführer Markus Letsch am Dienstag vor die Belegschaft tritt und den 110 Mitarbeitern erklärt, dass ihre Jobs nur noch bis Ende November sicher sind, sacken einige Kollegen in sich zusammen. Die einen suchen Halt und Trost, die anderen sind in Schockstarre, so beschreibt es ein Teilnehmer. Seither läuft die Suche nach einem Investor, um die Pleite noch abzuwenden, das Insolvenzverfahren ist beantragt.
Aus der Unternehmensführung heißt es zu pleiteticker.de: Die nächsten 14 Tage entscheiden über Bonbon oder Bye bye, die Überlebens-Chance wird auf 60 Prozent geschätzt. Die Anspannung ist spürbar: Den Bodeta-Mitarbeitern, die das Werksgelände verlassen, ist die Sorge ins Gesicht geschrieben, im Weihnachtsmonat Dezember kein Gehalt mehr zu bekommen.
„Da stirbt ein Stück Heimat, ein Stück Kindheit“, sagt Nadine, die mit ihren zwei Söhnen an der Fabrik vorbei spaziert. Für die Stadt Oschersleben (19.000 Einwohner) steht nicht nur ein Kulturgut, sondern auch einer der letzten großen Arbeitgeber auf dem Spiel. Und die Menschen sind wütend auf die Politik in Berlin. „Ich glaube, dass die Firma zu klein ist, um sie zu retten“, ist noch einer der freundlicheren Sätze, die wir hören. Es fallen Schimpfworte.
Besonders bitter: Bodeta, gegründet 1892, rutscht unverschuldet in die Pleite, so die Selbstwahrnehmung. Noch im August stand im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Umsatz-Plus von 23 Prozent, so heißt es aus dem Betrieb. Dann kam der Energie-Schock. 300.000 Euro mehr für LKW-Lieferkosten, verdoppelter Zuckerpreis, verdreifachter Glukose-Preis. Würde die Firma 2023 noch produzieren, wird mit den vierfachen Energiekosten kalkuliert.
Dass jetzt in Berlin über einen Gasdeckel debattiert wird, hilft Bodeta nur bedingt weiter. Eigentlich gar nicht. Bis der da ist, könnte es zu spät sein, so heißt es aus der Geschäftsführung: „Aber ohne Deckel hat keiner eine Chance.“
Direkt neben der Fabrik wohnt Rentner Germer. Er ist 76 Jahre alt und in dem Gebäude, in dem heute die Bodeta-Verwaltung sitzt, in den Kindergarten gegangen. Seine Mutter hat bei der Bonbon-Firma nach dem Zweiten Weltkrieg gearbeitet. Von der Pleite seiner Nachbarn hat er aus der Zeitung („Ich lese noch Zeitung“) erfahren und sagt: „Die kleinen Unternehmen. Die kleineren Unternehmen. Es ist alles ein Trauerspiel.“