
Der Vorgang ist einmalig in der deutschen Rechts- und Parlamentsgeschichte. Zwanzig Polizisten und drei Staatsanwälte durchsuchten am Donnerstagvormittag Räume der Bayerischen AfD-Landtagsfraktion, „Südbau, 3. OG“, sowie in der Ismaninger Straße 17, wie es im Durchsuchungsbeschluss heißt, der Pleiteticker.de vorliegt.
Der Grund: eine Urheberrechtsverletzung. Zur Erklärung heißt es in dem Beschluss vom 1. August 2022: „Am 10.01.2021 wurde auf dem YouTube-Kanal der AfD-Landtagsfraktion ein Redebeitrag des Landtagsabgeordneten Prof. Dr. Ingo Hahn von der 68. Plenarsitzung vom 08.01.2021 veröffentlicht. Während der Rede, die ursprünglich auf der Website des Bayerischen Landtags veröffentlicht worden war, erfolgten Zwischenrufe seitens der Abgeordneten Gabi Schmidt von der Fraktion der FREIEN WÄHLER. Im Rahmen der Veröffentlichung des Redebeitrags auf dem YouTube-Kanal wurden diese Zwischenrufe entgegen den Nutzungsbedingungen des Bayerischen Landtags, wonach jegliche Bearbeitung, Umgestaltung oder Manipulation der Bilder und/oder Töne unzulässig und nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung des Bayerischen Landtags erlaubt ist, wissentlich und willentlich in falscher Reihenfolge zusammengeschnitten und dadurch aus dem Gesamtzusammenhang gerissen.“
Das Video wurde nach Protest der Landtagsspitze wenig später wieder gelöscht. „Der Aufforderung, den Urheber des inkriminierten Clips zu nennen, kam die AfD-Fraktion nicht nach“, sagt Landtagssprecherin Caroline Kubon, „deshalb haben wir Strafantrag gestellt. Alles weitere ist Sache der Staatsanwaltschaft.“ Und „Das ist keine Lappalie, wenn man unsere Videos zu Propagandazwecken missbraucht.“
Juristisch ist das Vorgehen nach Ansicht verschiedener Juristen gegenüber Pleiteticker.de heikel. Zum einen gab es keine Bitte um Aufhebung der parlamentarischen Immunität, weil es sich um eine Ermittlung gegen unbekannt handelt. Andererseits geht aus der Auflistung spezieller Zimmernummern hervor, dass man doch gezielt sieben Abgeordnete im Visier hatte. Das im Beschluss erwähnte Zimmer „S 313“ existiert allerdings bei der AfD-Fraktion gar nicht.
„Wenn es so leicht ist, mit dem Trick einer Ermittlung gegen unbekannt die parlamentarische Immunität auszuhebeln, wird es wirklich bedenklich“, sagt einer aus der Bayerischen AfD-Fraktion, der nicht genannt werden will. In den Reihen der AfD wird der Vorgang als völlig unverhältnismäßig angesehen. In Wahrheit sei es um die Ausforschung der Opposition gegangen, heißt es. Nach Informationen von Pleiteticker.de wurde Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) vor der Durchsuchung informiert und genehmigte den Einsatz. Sie hätte Einspruch erheben können, wenn der Parlamentsbetrieb durch die Ermittlungen gestört worden wäre.
Ein weiterer umstrittener Punkt: Der Verstoß gegen das Urheberrecht wird von den Staatsanwälten im Beschluss in den „Bereich der mittleren Kriminalität“ eingeordnet. Unter „mittlerer Kriminalität“ werden nach einschlägiger Rechtsauffassung Verbrechen und schwerwiegende Vergehen, z.B. gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB), besonders schwerer Fall des Diebstahls (§ 243 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) verstanden. Verletzungen des Urheberrechts (Geldstrafe bis zu drei Jahren Gefängnis) werden eher der „unteren Kriminalität“ (Bagatelldelikte) zugerechnet und wären als Anlass für eine Durchsuchung im Parlament schon extrem begründungsbedürftig.
Nach Auskunft der AfD-Fraktion wurden bei der Durchsuchung mehrere Laptops und etliche Datenspeicher beschlagnahmt. Die Pressestelle der zuständigen Staatsanwaltschaft München I war am Freitagnachmittag nicht zu erreichen.