Seit einem Jahr tobt in der Ukraine der Krieg – und Deutschland hat nichts gelernt. Während die „Zeitenwende“ im politischen Treibsand stecken bleibt, übt sich die Republik in hohler Symbolpolitik – was nur noch mehr Bürger skeptisch zur nötigen Unterstützung der Ukraine macht.

Ist ein Jahr eine lange Zeit? Vor einem Jahr begann Russland seine Invasion der Ukraine. Für die Menschen aus Lemberg, Kiew, Charkiw oder Mariupol hat sich sehr viel verändert. Es dürfte das längste Jahr ihres Lebens gewesen sein. In Deutschland hingegen führen wir die gleichen Debatten wie vor einem Jahr – so als hätte man nichts gelernt. Man erinnere sich: Monate vor der Invasion begann Putin einen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Die ganze Welt konnte problemlos aus der Luft die Vorbereitungen zur Invasion beobachten. Und trotzdem hieß es bei uns: Waffenlieferungen an die Ukraine eskalieren nur, was man jetzt bräuchte, sei „Diplomatie“. Wer die kommende Invasion damals erkannte galt als „Kriegstreiber“, der einen Krieg „herbeireden“ würde. Olaf Scholz reiste nach Moskau, traf sich mit Putin und hierzulande jubelte die SPD, er habe den Krieg verhindert. Nur kurze Zeit später griff Putin dann an.
Die ersten Wochen der Invasion waren für die Ukraine extrem gefährlich – aber sie waren für viele im Westen ein Moment der Klarheit. Russische Truppen standen vor Kiew, Präsident Selensky sprach aus einem Bunker zur Welt. Vorbei schien erstmal das Narrativ, es ginge um russischsprachige Ukrainer im Osten des Landes, die angeblich zu Russland gehören wollten. Putinversteher gab es auf einmal kaum noch. Die Bedrohung auch gegenüber dem Rest Europas war nun so ziemlich jedem klar.
Aber seitdem haben viele die falschen Lehren gezogen. Die Unterstützung für die Ukraine, ein Land, das um seine Existenz kämpft, ist medial-politisch gekapert worden, könnte man sagen. Es ist zu dem geworden, was man in Amerika „The Current Thing“ nennt – das, was eben Medien und Politik gerade in überzogener Weise zur Agenda machen. Vor echte materielle Unterstützung für die Ukraine stellt man vielmehr eine ständige politisch-mediale selbstgefällige, und oft rein symbolische Solidaritätsbekundung an jeder Ecke. Letzteres hilft den Ukrainern aber kaum, sondern untergräbt nur die echte Unterstützung. Niemand sollte überrascht sein, wenn dann bei ganz vielen Bürgern Skepsis aufkommt und jetzt Rufe nach „Frieden“ und „Verhandlungen“ lauter werden.
Frieden, das wollen die Ukrainer auch. Und eine „Verhandlungslösung“ wird es geben, aber sie steht eben am Ende des Krieges. An dem Punkt, wo eine Seite merkt, dass sie militärisch nicht mehr weiterkommt. Und an dem Punkt ist Putin ganz offensichtlich noch nicht – wer jetzt also alle Unterstützung für die Ukraine abkappen will, fordert nichts anderes als einen „Frieden“ in der die Ukraine verliert – zumindest große Landesteile verliert. „Ukrainer hört auf zu kämpfen“ kann nicht das Motto sein, sondern das Gegenteil: Dass Russlands Invasionstruppen sich zurückziehen, und eins steht fest: Das werden sie aktuell nicht durch gut zureden tun, genauso wie sich Putin vor dem Krieg nicht durch Scholz‘ netten Besuch in Moskau beeindrucken ließ.
Und das ist eine weitere Lehre, die der Westen, zumindest Westeuropa, noch nicht gezogen hat: Diplomatie hat ihren Platz, aber Ende des Tages wird unsere Sicherheit militärisch garantiert. Dazu gehört, dass man eben nicht tatenlos zuschaut, wie Russland ein befreundetes Land, einen beinahe-Verbündeten, überfällt. Nicht weil die Ukraine eine wunderbare Bilderbuchdemokratie ist, sondern weil es hier um die Sicherheit sowohl unserer verbündeten europäischen Nachbarn als auch um unsere eigene geht, wenn russische Truppen im Osten auf einmal in Lemberg stehen, was näher an Berlin ist als Paris, Rom oder London.
Andererseits gehört dazu auch, dass Deutschland sich ganz unmittelbar um die eigene Verteidigung kümmert und trotz groß angekündigter „Zeitenwende“ ist so gut wie nichts passiert. Wir liefern Panzer und Munition an die Ukraine – was richtig ist – aber z.B. die Munitionsbestände der Bundeswehr sind in einem katastrophalen Zustand und reichen im Ernstfall nur für einige Tage. Es ist ein ganzes Jahr vergangen seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine und die Bundesregierung hat es völlig versäumt die Rüstungsindustrie hochzufahren, neue Aufträge aufzugeben und die Munitionsbestände aufzufüllen. Wenn man sich nicht darauf einigen kann, wie man die Ukraine unterstützt, dann müsste man denken, wenigstens die eigene Landesverteidigung wäre ein Konsensthema. Aber Fehlanzeige – auch hier gibt es viel symbolische Versprechen, Taten folgen nicht.
Stattdessen verlässt sich Deutschland auf die Amerikaner, die wenn es um europäische Sicherheit geht, immer noch unseren Babysitter spielen müssen. Nicht etwa aus vermeintlichen „US-Imperialismus“ – nein, weil Deutschland und manch andere europäische Länder schlicht die eigene Verteidigung vernachlässigen. Auch wenn Biden große Auftritte in der Ukraine macht, in Washington ist währenddessen längst klar: In so einem Maße in Europa aktiv zu sein, ist inzwischen immer mehr auch für die USA eine Belastung. Dort will man eigentlich viel eher den aufstrebenden Rivalen China in Schach halten, das seine Augen auf Taiwan gerichtet hat.
Ein potenzieller Konflikt, der am Horizont steht und noch deutlich gefährlicher werden kann als der in der Ukraine: Um die Insel im Fall einer chinesischen Invasion zu verteidigen, reichen keine Waffenlieferung, dort müssten die USA aktiv mitkämpfen. Die Rede ist hier von chinesischen Luftangriffen auf US-Inseln im Pazifik, versenkten amerikanischen Flugzeugträgern, tausenden toten US-Soldaten binnen weniger Tage – alles in einem Konflikt mit der Atommacht China. Die Rufe in den USA sich dementsprechend nach Asien umzuorientieren und dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst dazu kommt, werden dort also immer lauter.
Aber die deutsche Politik schläft weiter – und setzt vor allem auf Symbolgesten, wenn es um unsere Sicherheit geht. Erst vor kurzem ließ man sich jetzt dafür feiern, dass eine weitere Pro-Ukraine-Resolution von der UNO-Generalversammlung verabschiedet wurde. Ja, die Ukrainer nehmen sicher jede Unterstützung gerne an, aber glaubt ernsthaft jemand, dass Kriege durch UN-Resolutionen beendet werden? Dass Europa mit Friedensdemos verteidigt wird? Dass Hashtags Panzer zum Stehen bringen?