
Riesen-Razzia oder Riesen-Zirkus? 3000 Polizisten nahmen die Reichsbürger-Szene bei einer großangelegten Aktion 25 Verdächtige aus der Reichsbürger-Szene fest. Die Operation hatte intern den Namen „Schatten“, wurde von der Regierung als großer Schlag gegen einen geplanten Putsch gefeiert. Nur: Wie gefährlich ist dieses Netzwerk wirklich? Pleiteticker.de stellt die kritischsten Stimmen zu der Razzia zusammen:
Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) sagte der „Welt“, er habe keine Erkenntnisse über das Gefahrenpotential der Gruppe. Aber: „Mein subjektiver Eindruck ist, dass diese eher skurrile Spinner-Truppe keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft darstellt.“ Und weiter: „Dass sich in Deutschland eine Putschisten-Gruppe bildet, die auf einen Staatsstreich hinarbeitet, ist ein neues Kriminalitätsphänomen, sollte aber nicht überbewertet werden.“
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Uwe Tellkamp, Autor des großen Romans „Der Turm“, stellt die Ernsthaftigkeit der Umsturzpläne in Frage. „Woher wissen Sie, dass das so ist?“, fragte der Schriftsteller bei einer Lesung in Berlin. „Sofort sind alle sich einig: Das kann nur finster sein. Der Abgrund des Terrors. Und alle Härte des Rechtsstaats“, so Tellkamp über die Festgenommenen. Laut RND zog der Schriftsteller eine Parallele zu Gruppen wie Fridays for Future, „die öffentlich die Abschaffung des Staatssystems fordern“. Diese Gruppen werden aber medial noch hofiert, bekommen Sprechzeit in Talkshows: „Und das ist eine Wahrnehmung, die viele Menschen teilen, wo sie sich fragen: Gibt es hier zweierlei Maß im Rechtsstaat?“
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„Haben Deutschlands Sicherheitsbehörden wirklich die große Reichsbürger-Verschwörung vereitelt, oder haben sie womöglich mit Kanonen auf Spatzen geschossen?“, fragt Marc Felix Serrao, Chefredakteur der NZZ in Deutschland.
Seine Kollegin Susanne Gaschke kritisiert die großangelegte mediale Begleitung des Einsatzes: „Weil sie entweder ein unkalkulierbares Risiko für das Gelingen der ganzen Aktion hätte bedeuten können. Oder aber weil sie anzeigt, dass die Sache doch noch nicht so brandgefährlich war.“ Ihr Text steht unter der Überschrift „Der Putsch, der nie passiert wäre“. Gaschke schreibt weiter: „Ein Umsturz oder Bürgerkrieg steht in Deutschland wahrlich nicht bevor. Die Wahnvorstellungen einiger sektiererischer Ewiggestriger sind für die überwältigende Mehrheit der Deutschen in keiner Weise nachvollziehbar.“
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Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer twitterte: „Das ist sicherlich das erste Antiterrorverfahren, bei dem man jeder Redaktion in Deutschland, die eine Kamera tragen kann, die Liste der Beschuldigten hat zukommen lassen, damit sie rechtzeitig vor Ort ist, um, ganz konspirativ, die Festnahme zu dokumentieren.“
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Die Berliner Zeitung titelt: „Warum der vereitelte Reichsbürger-Putsch vor allem ein amüsanter PR-Coup der Behörden war“. Die Razzia „gegen den Prinzen und seine Rentner-Revolte soll der ,größte Anti-Terror-Einsatz in der BRD-Geschichte‘ gewesen sein. Dabei wurden nur 25 vergreiste Verwirrte festgenommen“, schreibt Jesko zu Dohna. Der stellvertretende Chefredakteur weiter: „Normalerweise, wenn etwas sehr Gefährliches passiert in diesem Land, arbeiteten Behörden besonders diskret. Da treten schwarz gekleidete Polizisten nachts die Tür ein und holen Verbrecher aus dem Bett. Warum? Damit sich die Brüder weder absetzen, Beweismittel verschwinden lassen noch größeres Unheil anrichten können. Das ist nur logisch.“
In diesem Fall sei es aber so gewesen, dass die ersten Artikel zur Razzia keine Meldungen, sondern Hintergrundstücke waren. „Die ganze Aktion wirkt nicht wie die Vereitelung eines bevorstehenden Staatsstreichs, der die Bundesrepublik in ihren Grundfesten hätte erschüttern können, sondern wie ein gut orchestrierter PR-Stunt des Bundesinnenministeriums und der Sicherheitsbehörden.“ Es sei „viel Getöse um wenig Putsch“.
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Anna Schneider, Chefreporterin Freiheit bei der „Welt“, twittert: „Eine Truppe verstrahlter ,Reichsbürger‘-Rentner wurde Hops genommen, und gut so. Bei Lichte betrachtet allerdings schon eine äußerst eigenartige Hysterie und In-Szene-Setzung dieses Spektakels – wenn die Demokratie so bedroht wäre, wie viele ständig predigen, wäre sie längst tot.“