Von Janina Lionello. Die einen sehen in ihm ein konspiratives Treffen, auf dem geheime Absprachen über die Weltherrschaft getroffen werden, andere eine Ideenwerksatt, bei der eine bessere Welt verhandelt wird. Dabei ist das WEF in Davos dieses wie jedes Jahr: Ein symbolträchtig aufgeblasenes Symposium ohne echte Durchschlagskraft.
„Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt“: Das Motto des diesjährigen World Economic Forum (WEF) klingt wie vieles aus dem Mund ihres Gründers: Visionär, vereinend, lösungsorientiert. Klaus Schwab spricht häufig von “Chancen”, von “Gerechtigkeit” und “Nachhaltigkeit”, und wenn man ihm mit Wohlwollen zuhört, könnte man glatt ins Schwärmen kommen. Schwab will grüne Städte, weniger „Turbokapitalismus” und Emissionen, es wird in diesem Jahr über verantwortungsvolle Produktion und nachhaltigen Konsum gesprochen.
Destilliert man die blumigen Visionen von einer besseren Welt allerdings weg und seziert die Utopie des 84-Jährigen, wird sie schnell zur Dystopie.
Für Schwab ist die Corona-Krise eine „Chance“
Schwabs Vision ist eine Welt ohne lästige Limitationen, die alles Menschliche mit sich bringt. In der Biologie überwunden wird. Ohne mit der Wimper zu zucken, schwärmt Schwab von einer durchdigitalisierten Gesellschaft, in der der Mensch nicht mehr länger Schädling ist, sondern ein perfektes, fehlerfreies Lebewesen, das lästige Charaktereigenschaften wie Gier oder den Wunsch nach Besitz überwunden hat. In seinem Buch „Covid 19 – The Great Reset”, zu Deutsch: „Covid 19 – Der Große Umsturz” beschreibt er die Corona-Krise als „Chance”, um diese Transformation zu erreichen. „Viele von uns werden sich fragen, wann sich die Dinge normalisieren werden. Die kurze Antwort lautet: niemals. Nichts wird jemals so sein wie zuvor”, schreibt er darin.
Der 84-Jährige ist großer China-Fan, findet die Erfolge des kommunistisch regierten Lands „während der letzten 40 Jahre enorm” und sieht in ihm “ein Vorbild für viele Länder”, wie er vor einigen Jahren im chinesischen Fernsehen erklärte. Sein Sohn Oliver ist mit einer Chinesin verheiratet, leitete das WEF-Büro in China und erklärte in der Handelszeitung vor einigen Jahren: „Der Westen kann heute ebenso viel von China lernen wie China vom Westen”.
Traumvorstellung: durchrobotisierte Gesellschaft
Wem Schwabs Schwärmereien für eine waschechte Diktatur kein Unbehagen bereiten, der sollte sich Gesprächsbeiträge des 84-Jährigen von vergangenen Treffen anhören, auf denen er mit Begeisterung von einer durchrobotisierten Gesellschaft spricht. Schwab ist Anhänger transhumanistischer Gadgets, schwärmte beim WEF 2017: “Können Sie sich vorstellen, dass wir in zehn Jahren hier sitzen, mit Implantaten in unseren Gehirnen, und sofort wissen, was der andere sagen will, was der andere denkt, weil alle hier Implantate im Gehirn haben?”
Dass sich so viele „Verschwörungstheorien” um das Treffen in Davos ranken, ist mehr als naheliegend, wenn man Schwab zuhört, denn er selbst sagt genau das: Dass er mit seiner Ideologie Parlamente infiltrieren möchte. „We penetrate the Cabinets”, erklärte er auf einer Podiumsdiskussion im Jahr 2014.
Wenn ein Mann, der sich wie ein überzeichneter Superschurke im Darth-Vader-Kostüm inszeniert und tausende Teilnehmer aus Politik und Wirtschaft beherbergt, davon spricht, dass nichts mehr sein wird wie zuvor und man „Parlamente durchdringen” möchte, ist ein Störgefühl wohl die natürlichste aller Reaktionen.
Ein aufgeblasenes Symbol-Event
Umso mehr erstaunt es, dass gerade diejenigen, die sonst die Macht der Wirtschaft als größtes Übel der Menschheit sehen, es kritiklos hinnehmen, dass in Davos eine Top-Down-Debatte geführt wird, die letztlich Agenda-Setting ohne gesellschaftlichen Diskurs bedeuten kann und jede Kritik daran ins Lächerliche ziehen.
Trotzdem ist auch das WEF am Ende wohl nicht mehr als die meisten dieser Veranstaltungen: Ein aufgeblasenes Event mit Symbolcharakter, bei dem wenig Greifbares rumkommt.
Ähnlich einem G7-Treffen oder einem der vielen „Klimagipfel”, bei denen es die teilnehmenden Staaten einmal nicht schaffen, sich in Kernthemen auf verbindliche Ziele zu einigen, scheint es auch hier undenkbar, dass der chinesische Staatschef Xi Jinping sich mit US-Präsident Joe Biden auf gemeinsame Strategien zur Unterwerfung der Menschheit einigt.
Davos ist – bei allem Einfluss, den einzelne Protagonisten haben mögen – eine künstliche Blase, bei dem Titel ohne Wert, wie „Young Global Leader” vergeben werden und die ein 84-Jähriger mit irren Visionen als Ticket in die Welt der Einflussreichen sieht.