
Von Ralf Schuler
Die desolate Lage der Union, zusammengefasst in einem einzigen Tweet: Ex-Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) gratuliert der Ampel zum ersten Geburtstag: „Guten Morgen Deutschland! Heute vor einem Jahr war Regierungswechsel: Unaufgeregt & demokratisch-normal.“
Heißa, wir wurde abgewählt, soll das wohl heißen. Falscher Kandidat, programmatisch entkernte Partei, Reformbedarf, Krieg, Inflation, Wirtschaftskrise – alles easy! „Darum beneiden uns viele in der Welt. Nicht alles läuft gut, das tut es nie – aber dieses Deutschland ist das beste, das wir jemals hatten!“
Es ist immer schön, wenn jemand voller Lebensfreude und Zuversicht in den Tag startet und getreu dem alten Unionsmotto „Wir schauen jetzt nach vorn“ die Augen ein wenig zukneift beim Blinzeln in die Sonne. Und wenn man nach 16 Jahren Regierung es so gründlich vermasselt hat wie die Union, dann darf man beim Quell des Frohsinns auch nicht wählerisch sein: Wir haben nicht verloren, sondern die Macht nur übergeben. Und das ist so grandios, dass wir ein Jahr danach noch immer feiern.
Der Glückwunsch an die Ampel wird zum Glückwunsch an uns selbst, da werden wir die Party doch nicht durch kleinlichen Wettbewerb der Parteien und Meinungsstreit stören. Irgendwas ist schließlich immer. Und „dieses Deutschland ist das beste, das wir je jemals hatten!“
Nun mag der Blick in die Welt mit einer Minister-Pension im Rücken womöglich gelassener ausfallen, und der Wein an Saar und Mosel hat im zurückliegenden Sommer auf viel Sonne bekommen, so dass Insolvenzen, mögliche Blackouts und drohende Deindustrialisierung nicht gar so schmerzen, wie beim Getriebebauer oder BASF-Malocher nebenan, dessen Mutterkonzert künftig im Ausland investiert, und der auf staatliche „Bremsen“ hoffen muss, um seine Energierechnung noch bezahlen zu können. Denn die wandert leider nichts ins Ausland.
Die Union ist nach den Merkel-Jahren und dem damit verbundenen Mitgliederzu- und abgang zerrissen zwischen mild-bürgerlichen Softball-Spielern, die großstädtische Eliten nicht verstören wollen und inzwischen wieder verzweifelnden Konservativen, die zum Beispiel Kritik an der Migrationspolitik der Ampel viel deutlicher und härter artikulieren würden, als die verzagt vorsichtig taktierende Parteispitze zulässt.
Es gibt Sätze, die klingen so nach Propaganda, dass man sie auch dann nicht sagt, wenn sie stimmen. Vermutlich gibt es wenige Länder, in denen es den Menschen in der Krise besser geht als hierzulande. Aber wenn „dieses Deutschland“ das Beste ist, „dass wir jemals hatten“, werden Deutschlands Tafeln stillschweigend zum Schlaraffenland, und ein Oppositionspolitiker als Jubel-Perser stimmt auch eher nachdenklich als hoffnungsvoll.