Zwischen „Radikalisierung“, Rassismus und Querdenkertum: Die Reaktionen eines selbstgerechten Milieus bestätigen die Autorin.
Kommentar von Jan Karon
Montagmorgen. Eine neue Woche steht vor der Tür und es shitstormt wieder in Deutschland. Diesmal im Visier: Juli Zeh, ihres Zeichens Bestseller-Autorin („Corpus Delicti“, „Unter Leuten“) und Richterin am brandenburgischen Verfassungsgericht.
Was war passiert? Zeh veröffentlicht mit dem Co-Autoren Simon Urban am 23. Januar einen neuen Roman. Er heißt „Zwischen Welten“ und handelt von einem selbstgerechten Kulturjournalisten einer grossen Hamburger Wochenzeitung und einer brandenburgischen Ökolandwirtin. Weil diese zwei Handlungsstränge vielleicht, aber wirklich nur vielleicht Parallelen zur Realität aufweisen und politisch sind, ging es in einem Interview bei der Neuen Zürcher Zeitung um … Politik.
Im Interview sprach Zeh von Cancel Culture und von der Unversöhnlichkeit zwischen Lagern im politischen Diskurs. Sie sprach sich für diplomatische Verhandlungen zur Beendigung des Krieges mit Russland aus und lobte erneut Olaf Scholz für seine „vorsichtige, international abgestimmten und wenig säbelrasselnden Form“ der Ukraine-Politik. Zu Corona sagte sie, dass sie Ausgangssperren als „totalitäre Strafsituation“ wahrgenommen hätte, die sie als „apokalyptisch“ empfand. Und Sarrazin hatte ihr zufolge schon 2010 „das richtige Thema am Wickel“, wenngleich sie ihm „Polemik“ und „seltsame Zahlen“ vorwarf.
Man kann von einzelnen Meinungsäußerungen im Interview halten, was man will – aber Zehs Aussagen sind zumindest einleuchtend. Doch seit gestern tobt auf sozialen Medien ein Shitstorm gegen die Autorin, und bei manchen Meinungsäußerungen glaubt man, dass nicht eine 48-jährige Autorin, sondern die leibhaftige Wiederkehr Adolf Hitlers interviewt wurde. Der linke Publizist Stephan Anpalagan warf Zeh vor, dass man „schöner den Rechtsextremismus nicht verharmlosen“ könne. Der Filmemacher Mario Sixtus schrieb: „Zeh unterscheidet sich in ihren Aussagen zur Pandemie von querdenkenden Maßnahmen-Gegner*innen in der Hauptsache durch die Verwendung recht okayer Grammatik“. Der Friedrich Ebert-Stiftung-Stipendiant Nabard Faiz sprach von „rassistischem Gerede“ – und die Digital- und Verschwörungsexpertin Katharina Nocun attestierte aus der Ferne eine krasse „Radikalisierung“.
An diesen Reaktionen zeigt sich exemplarisch, wie entfremdet ein politisch grünlinkes Milieu inzwischen auf reale Probleme dieses Landes schaut. Diejenigen, die sich partout weigern über Probleme in der Migrationsgesellschaft zu sprechen, sind die ersten, die Stimmen wie Juli Zeh in eine rechte Schmuddelecke schieben wollen. Diejenigen, die in Zuge der Corona-Pandemie am liebsten die Bevölkerung zum Maskentragen an jedem Ort und jeder Stelle gezwungen hätten, zögern nicht, Menschen, die das anders sehen, zu Querdenkern zu machen. Und generell beschleicht einen der Eindruck, dass hier ein Milieu Juste Probleme von sich entfremdeten Gesellschaftsschichten gar nicht mehr wahrnimmt, sondern entweder gutheißt oder als alleinigen Fehler der Rechten sieht.
Doch genau diese Reaktionen geben Juli Zeh Recht. Man muss nicht mit allem, was sie sagt, einverstanden sein, um einzusehen, dass sie den nötigen Finger in die Wunde legt. Und daran kann das empörte Geschrei der Guten nichts ändern.