- Die Ampel-Koalition hat beschlossen, den ersten sogenannten Bürgerrat einzusetzen. 160 „zufällig“ ausgewählte Bürger sollen dabei zusammenkommen und den Gesetzgeber beraten.
- Doch das eigentliche Auswahl-Verfahren hat nicht mehr viel mit „Zufall“ zu tun.
- In Realität baut sich die Koalition ein gelenktes Extra-Parlament.
Es ist das politische Wort der Stunde: Bürgerrat. Die „Letzte Generation“ fordert ihn, der Bundestag will ihn nun in erster Form einsetzen. 160 Personen sollen „nach dem Zufallsprinzip“ ausgewählt werden und den Gesetzgeber dann beraten. Der erste Rat dieser Art ist jüngst von der Regierungskoalition beschlossen wurden und durch den Bundestag freigegeben worden. Thema: „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“.
Geplant ist, dass das Gremium bis nächsten Februar ein Gutachten mit Empfehlungen für die Politik erarbeitet. Das erste Thema eines solchen Rates ist also Ernährung – ein eigentlich ziemlich privates Thema, das den Staat eigentlich nicht interessieren braucht.
„Zufallsprinzip“ und gleichzeitig Quote?
Nun stellt sich die Frage, wie dieser Bürgerrat sich zusammensetzen soll: Schließlich will man bei der Besetzung explizit auf die Breite und die Diversität unserer Gesellschaft achten, heißt es. Man will etwa, so gibt man es selber an, Menschen verschiedenster Essgewohnheiten – also Vegetarier und Veganer – berücksichtigen. Diese sollen, so heißt es, möglichst gut repräsentiert werden. Heißt: über Quoten – in jedem Rat sollen, im besten Falle, Veganer und Vegetarier sitzen.
Doch es gibt in Deutschland logischerweise kein Register, in dem alle Veganer aufgeführt sind. Wie also soll diese Repräsentanz gewährleistet werden? Dafür hat sich die Bundesregierung ein detailliertes Auswahlverfahren ausgedacht, das mit „Zufall“ nicht mehr viel zu tun hat. Ein Sprecher des Bundestags erklärte uns das Verfahren folgendermaßen:
Der erste Schritt ist das Versenden von 20.000 Bürgerrats-Einladungen. Grundsätzlich soll jeder Einwohner und jede Einwohnerin Deutschlands ab 16 Jahren die Chance haben, ausgelost zu werden. 84 Gemeinden aus allen 16 Bundesländern bekommen aufgetragen, eine zufällige Auswahl von Adressdaten zu treffen, die Briefe bekommen. Insgesamt werden Adressen von 20.000 Personen gezogen, an die in der ersten Junihälfte Einladungen verschickt werden.
Dann wird es kompliziert: Die 20.000 sollen sich, wenn sie teilnehmen wollen, zurückmelden. Dabei sollen sie bestimmte Auskünfte über sich selbst geben, etwa Herkunft, Beruf, Essgewohnheit. Das ist entscheidend für den nächsten Schritt: „Aus den Rückmeldungen (hier ist auch die Selbstauskunft z.B. zu Vegetarier/Veganer enthalten) wird eine Vielzahl an möglichen Zusammensetzungen des Bürgerrats zusammengestellt, die jeweils die im Einsetzungsbeschluss festgelegten soziodemographischen Kriterien (Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Gemeindegröße, Bildungshintergrund) soweit wie möglich erfüllen“, heißt es vom Sprecher.
Und schließlich: „Im Rahmen einer Bürgerlotterie wird am 21. Juli 2023 aus der Vielzahl an möglichen Zusammensetzungen ein konkreter Bürgerrat ausgelost.“
Bundestag baut sich seinen Rat zusammen
Bedeutet im Klartext: Aus den Rückmeldungen baut der Bundestag – genauer: die der Bundestagspräsidentin unterstehende Bundestagsverwaltung gemeinsam mit externen Dienstleistern – sich verschiedene Gesellschaftsräte zusammen. Dann wird nicht mehr zufällig besetzt, sondern möglichst nach Quote.
Wirklich viel mit einem „Zufallsprinzip“ hat die Einführung dieser Räte, die als Mittel der „Stärkung der Demokratie“ vorgestellt werden, damit nicht mehr zu tun. Am Ende entscheidet nämlich nicht der Zufall, sondern die Bundestagsverwaltung selbst, wer und wer nicht in den Rat kommt. Der Rat, der als „neues demokratisches Instrument“ verkauft wird, ist vielmehr eine intransparente Extra-Instanz, die Stimmungsbilder einholen soll – die die Regierung dann als „Willen der Bürger“ verkaufen kann.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht im Zuge der Einführung der Bürgerräte von der Chance „unsere parlamentarische Demokratie zu stärken und mehr Teilhabe zu ermöglichen.“ Genau das wird es am Ende nicht sein. In den Bürgerräten der Ampel wird eine ausgewählte Gruppe der Bürger für „uns alle sprechen“.
Braucht es das? Nein. Die Menschen in Deutschland werden auch ohne Bürgerrat von Repräsentanten vertreten – und das schon seit Beginn unserer Demokratie. Dafür gibt es den Bundestag.