- Ein Berliner Start-Up hat ein veganes Ei auf den Markt gebracht.
- Anders als andere Ei-Imitate lässt es sich wie ein Hühnerei aufschlagen und als Spiegelei braten.
- Die Schale ist aus Plastik, das Eidotter aus Algen-Extrakt.

„Schmeckt fast wie das Original“, ist wohl eine der penetrantesten Alltagslügen, die uns heutzutage aufgetischt werden. Es steckt immer eine gewisse Gewalt dahinter, wenn ein Vegetarier diesen Satz ungefragt ausspricht, während er sich gerade ein Fleischersatzprodukt reinpfeifft. Oft wird das Gesicht genüßlich verzogen, noch bevor die Sojawurst überhaupt in Kontakt mit den Geschmacksknospen gekommen ist – vielleicht die einzige Möglichkeit, die Gaumenfreude bei diesem Lebensmittelverbrechen vortäuschen zu können.
Es gibt wenig, das die Genussfeindlichkeit vieler Vegetarier und Veganer so gut sichtbar macht wie ihre Ersatzprodukte für tierische Lebensmittel. Es löst immer einen gewissen Ekel in mir aus, wenn ich über die Sozialen Medien – oder eine vegan-vegetarische Speisekarte in Berlin – ein neues Imitat-Produkt entdecke. Schon lange gibt sich ein Vegetarier von Welt ja nicht mehr mit Gemüsebratlingen zufrieden – es muss schon veganer Fleischsalat aus Bambus, ein Sojahack-Burger oder eine Portion vegane „Chicken“-Nuggets aus Kichererbsenbrei sein. Das gemeinsame Ziel: dem tierischen Original in Konsistenz, Aussehen und Geschmack möglichst nah kommen, damit man den eigenen Geist und Körper guten Gewissens immer besser verarschen kann.
Veganer können sich nun ein Fake-Spiegelei braten
Nun haben die Laborratten der Fleischersatz-Industrie ein neues Produkt aus dem Hut gezaubert: das vegane Ei. Ein Pflanzenprodukt, das sowohl die Schale als auch Eiweiß und Eidotter imitiert –und wie ein normales Ei aufgeschlagen werden kann. Bisher hatten sich vegane Eier-Vermisser mit Rührei-Imitat aus Bananen, Apfelmus oder Kichererbsenwasser begnügen müssen. Nun können sie sich ein Fake-Spiegelei braten.
Im MDR-Format „Einfach genial“ kann man sich die Zubereitung dieses neuen garantiert hühnerfreien Eis der Firma „Neggst Food“ seit Sonntag angucken. Vielleicht übertreibe ich ein wenig, doch ich musste beim Zuschauen an den künstlichen Mann denken, den sich der Transvestit Dr. Frank in dem Musical „Rocky Horror Picture Show“ zu seinem eigenen Vergnügen baut. Erst wird aus Hülsenfrüchten, Erbsenprotein, Süßkartoffeln und Pflanzenöl ein gelber Brei zusammengemanscht, der dann gekühlt und mit einer „aus Patentgründen“ geheimen Zutat versehen wird. Dann wird der „Eigelb“-Brei portionsweise in eine Algenextrakt-Lösung gegossen, die ähnlich wie bei Bubble-Tea eine Membran um die Flüssigkeit bildet, sodass ein wabbeliges Kunsteigelb entsteht. Am Ende wird das Pflanzeneigelb in eine „Schale“ aus Biokunststoff und Calciumcarbonat gelegt und ein Gel aus Proteinen und Vielfachzuckern wird als Eiweiß-Ersatz durch ein Loch in der Plastikschale gespritzt. Fertig ist das Fake-Ei.
Wie könnt ihr nur?
Ich bin nicht religiös, aber wenn ich diesen Schritten zugucke, beschleicht mich das Gefühl, das hier Gottes Schöpfung verraten wird. Und selbst ohne auf den Herrn im Himmel zu verweisen, habe ich das Bedürfnis, die Hände in die Luft zu recken und verzweifelt „Wie könnt ihr nur?“ zu rufen.
Erst letztes Jahr hat ein Forscherteam herausgefunden, dass sich Mitteleuropäer bereits vor 2.400 Jahren von Hühnereiern ernährt haben. Woher kommt diese Hybris, zu meinen, dieses über Jahrtausende bewährte Naturprodukt ersetzen zu können? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin ein großer Fan des technischen Fortschritts, viele lebensrettende Medikamente entstehen durch sehr skurrile Laborexperimente (es gibt Krebstherapeutika, die über Eierstockzellen des Chinesischen Zwerghamsters hergestellt werden) – dennoch habe ich den Eindruck, dass die Lebensmittel-Industrie und alle ihre Anhänger gerade beim Thema Ernährung nicht begreifen, dass sich unser Verdauungssystem nicht mit Willenskraft ändern lässt.
Entsprechend stößt es mir auf, wenn die Lebensmittelindustrie sich damit brüstet, Ersatzprodukte entwickeln zu können, die dem tierischen Original immer mehr ähneln. Was hier absolut verkannt wird, ist die Tatsache, dass es einen biologischen Grund hat, warum manche Lebensmittel und Gerichte von einer Mehrzahl der Menschen gerne gegessen werden. Und zwar seine Bekömmlichkeit für unseren Körper. Dass das Hühnerei bereits seit Jahrtausenden von uns Menschen gegessen wird, ist ein starken Hinweis darauf, dass die darin enthaltenen Nährstoffe sehr gut von unserem Körper aufgenommen und verarbeitet werden können.
Unser Körper lässt sich nicht täuschen
Während wir unseren Kopf mit Eidotter-Imitaten vielleicht täuschen können, wird unser Verdauugssystem dem Eier-Betrug nie auf den Leim gehen. Unser sogenanntes Darm-Hirn (ein Nervensystem im Verdauungstrakt) registriert ganz genau, welche Nährstoffe und wie viel Energie uns das Fake-Ei im Vergleich zum Original-Ei liefert. Schneidet es schlechter ab – wovon wir bei diesem kalorienarmen Pflanzenmix ausgehen können -–wird das Urteil unserer Körpers knallhart sein. Früher oder später wird sich unser Körper gegen das Fake-Ei wehren, indem wir schlichtweg keinen Appetit mehr darauf haben oder wir im Gegenteil ein unbekannt starkes Verlangen nach dem Hühnerei empfinden.
Vielleicht geht dieser Prozess beim Fake-Ei besonders schnell vonstatten. Immerhin kann der Zuschauer schon am Ende der besagten WDR-Doku beobachten, wie das vegane Spiegelei von der Reporterin verköstigt wird. Für eine Millisekunde steht der jungen Frau der Ekel ins Gesicht geschrieben, dann fängt sie sich und säuselt: „Es ist soooo nah dran“.