
Der Bundeskanzler soll mit seiner Richtlinienkompetenz ein Machtwort zur Atomkraft gesprochen haben. Doch seine angebliche Führungsstärke ist dünn – im Ergebnis wurde ein Konflikt lediglich vertagt und ein wenig zielführender Kompromiss geschmiedet. Robert Habeck wird aus den Zwängen seiner radikalisierten Basis befreit und Lindner darf einen Schein-Sieg einfahren. Die zwingende Frage nach der Zukunft unserer Energieversorgung bleibt abermals unbeantwortet.
„Ich als Bundeskanzler habe die Entscheidung getroffen: Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen“. Das erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Brief an die zuständigen Minister am Montagabend. Scholz beruft sich auf seine Richtlinienkompetenz und möchte mit seiner Entscheidung den Streit der Koalition rund um die Atomkraft beenden – die Minister sollen eine entsprechende Vorlage für den Bundestag erarbeiten.
Für diesen einen Satz von Olaf Scholz gibt es viele verschiedene Deutungen. Umweltministerin Steffi Lemke twittert: „Jetzt herrscht Klarheit: Es bleibt beim Atomausstieg. Deutschland wird zum 15.4.23 endgültig aus der Atomenergie aussteigen. Es wird keine Laufzeitverlängerung und keine neuen Brennstäbe geben“. Justizminister Buschmann schreibt auf Twitter allerdings: „Die Vernunft setzt sich durch: Alle drei noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Deutschland bleiben über den 31.12.2022 hinaus im Leistungsbetrieb. Das stärkt unser Land. Denn das sorgt für mehr Netzstabilität und niedrigere Strompreise.“
Grünen-Hardliner Trittin gibt sich trotzig: „Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht“, sagte er dem Redaktions Netzwerk Deutschland (RND). „Danach führen die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz“.
Ricarda Lang meint: „Klar ist damit, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen Atomkraftwerke spätestens zum 15. April 2023 endgültig vom Netz gehen“.
Wer hat sich nun durchgesetzt? Lindner mit seiner Atomkraft-Verlängerung? Oder doch die Grünen mit ihrem Atomausstieg? Die Wahrheit ist wohl: Eigentlich keiner.
Olaf Scholz spricht ein Machtwort um den starken Mann zu markieren – entscheidet aber gar nichts. Denn die Entscheidung über die deutschen AKWs wird in erster Linie in den Frühling vertagt.
Das AKW im Emsland, das die Grünen bis zuletzt zum 1. Januar abschalten wollten, wird jetzt zumindest bis April verlängert. Eine Maßnahme, die sich längst als zwingend abgezeichnet hat – die die grüne Basis aber nicht tragen will. Das nimmt Olaf Scholz nun auf seine Kappe und befreit Habeck aus seiner Zwangslage zwischen offenkundiger energiepolitischer Realität und seiner radikalisierten Partei.
Andererseits werden keine neuen Brennstäbe bestellt. Der Jubel der FDP ist also alles andere als angebracht – denn eine grundsätzliche Verlängerung der Atomkraft ist das nicht. Die Versorgungssicherheit in Deutschland wird also abermals nicht gesichert.
Scholz’ Machtwort ist ein PR-Manöver, nicht mehr.
Bis April wird die Energiekrise kaum gelöst sein. Wie soll es dann weitergehen?
Das bleibt mal wieder offen.