- Im am Sonntag erschienenen Beitrag des ZDF-Formats „Terra Xplore“ wird ein Mann interviewt, der sich freiwillig ein gesundes Bein hat amputieren lassen.
- Der ZDF-Psychologe hinterfragt die Tat nicht, sondern stellt sie als Verwirklichung des eigenen Körpergefühls dar.
- Anderen Körper-Misshandlungen öffnet das ZDF damit Tür und Tor.
Es gibt Tage, da guckt man in den Spiegel und sieht dort nicht den Menschen, den man erwartet hat. Vielleicht ist der Bauch etwas größer, als man ihn in Erinnerung hatte, oder man entdeckt Falten, die bisher unbekannt waren. Manchmal geht die Überraschung auch darüber hinaus und man sieht eine andere Persönlichkeit, als man gerade noch meinte zu sein. Vielleicht hatte man gerade einen Lauf, fühlte sich als selbstbewusster Macher oder als bezaubernde Verführerin und im Spiegel schaut einen plötzlich wieder ein ganz normaler Mensch an. Dieser Mensch ist so oder so, vielleicht trotzdem ganz hübsch oder ausgebrannt müde, vielleicht ist sein Körper sehr verkrampft oder er hängt schlaff herum – jedenfalls steht dort irgendwie doch nicht der neue Präsident oder Hollywood-Star. Anders herum passiert das genauso, machmal hat man das Gefühl, alle mäkeln an einem herum, niemandem ist man genug – und dann sieht man in den Spiegel und sieht, dass dort doch eigentlich alles am rechten Platz und mehr oder weniger in Ordnung ist.
In diesen Fällen würden die meisten Menschen wohl sagen, dass einem das Körpergefühl abhanden gekommen war. Im stressigen Alltag geschieht das ja mal, dass man sich nur noch im Kopf dreht und einem das Bauchgefühl verloren geht. Der Blick in den Spiegel hilft einem dann vielleicht, die Phantasien im Kopf loszulassen und zu seinem tatsächlichen Ich zurück zu finden. Vorausgesetzt, man ist noch in der Lage, seinen Körper richtig zu sehen. Magersüchtige zum Beispiel leiden oft unter einer sogenannten Körperschemastörung. Sie sehen im Spiegel nicht mehr den Menschen, den jeder andere objektiv sieht, sondern einen Menschen, der deutlich mehr auf den Rippen hat. Das ist Teil ihrer Krankheit.
Diagnose „Body-Integritäts-Dysphorie“
Das ZDF verdreht in seinem letzten Beitrag von „Terra Xplore“ genau diesen wohl für die meisten Menschen gültigen Begriff des Körpergefühls. In der halbstündigen Dokumentation dreht sich alles um die sogenannte „Body-Integritäts-Dysphorie“, zu deutsch Körper-Integritäts-Identitäts-Störung. Der ZDF-Psychologe Leon Windscheid interviewt ausführlich einen Mann, der sich ein gesundes Bein hat amputieren lassen, weil er dieses seit seiner Kindheit als nicht zu sich zugehörig empfunden hatte.
Sehr nüchtern erzählt der Betroffene von seiner jahrelangen Leidensgeschichte. Erst habe er sich als Kind das Bein hochgebunden, dann habe er später immer wieder absichtlich mit einem Hammer auf sein Knie geschlagen, um eine Verletzung zu erreichen, die eine Amputation des Beines medizinisch erforderlich macht. Einmal habe er tatsächlich wegen einer durch die Manipulationen entstandenen Verletzung ins Krankenhaus gehen müssen, die Ärzte haben ihn daraufhin operiert und sein Knie wiederhergestellt – danach habe er die Selbstverletzungen fortgeführt. So lange, bis er sich schließlich im Ausland das (immer noch gesunde) Bein oberhalb des Knies hat amputieren lassen – in Deutschland, so stellt die Sendung immerhin heraus, ist so eine Operation verboten. Wie es ihm danach gegangen sei, fragt der Psychologe im Beitrag. „Mein Körper hat unendlich viele Glückshormone ausgeschüttet“, sagt der Gewählt-Einbeinige.
Kein Hinterfragen vom Psychologen
Im Gespräch öffnet sich der Mann, der vom ZDF als Lino bezeichnet wird, weiter: „Die ersten Jahre habe ich gedacht, ich wär psychologisch irgendwie komplett daneben“ – doch dann dazu zu kommen, sich einzugestehen, „ich fühl mich so, ich bin so“, sei ein „Quantensprung“ gewesen. „Für dich“, erklärt der Betroffene weiter, „ist es völlig normal, dass du beide Beine hast. Für mich ist das Gefühl, dass es nicht normal ist.“ Der ZDF-Psychologe nickt das alles mit einem interessierten Kinderblick ab – so als würde ein kleiner Junge gerade erklärt bekommen, wie ein Bagger funktioniert. Kein höflich formulierter Kommentar in der Art „manche Ärzte würden sagen, dass Sie durchaus an einer psychischen Störung leiden…“.
Stattdessen wird ein Gespräch mit einem Professor Erich Kasten zwischengeschaltet. Seines Zeichens Psychologe hat er sich auf Body-Integritäts-Dysphorien spezialisiert. Als Psychologe Windscheid fragt, wie der Professor Menschen therapiere, die mit einer derartigen Störung zu ihm kommen, antwortet dieser schmunzelnd: „Gar nicht“. Vielmehr stelle er Betroffenen inzwischen ein Gutachten aus, sodass sie in den „Genuss der Amputation“ kommen. Er rate zwar seinen Patienten, die Operation hinauszuzögern, letzten Endes würden sich jedoch trotzdem die meisten für die Amputation entscheiden. Böse Zungen würden hier vielleicht sagen, dass seine Therapiemethoden möglicherweise nicht die besten sind…
ZDF verdreht Begriff „Körpergefühl“
Der ZDF-Psychologe resümiert schließlich aus dem Gespräch mit dem Bein-Amputierten, dass die „Body-Integritäts-Dysphorie“ seines Interviewpartners vor allem die „Macht des Körpergefühls“ zeige. Es gebe in unserer Gesellschaft ja einen gewissen Druck, wie man auszusehen habe – tatsächlich, philosophiert der Psychologe weiter, mache uns aber unser eigenes Körpergefühl aus – weswegen man alles daran setzen solle, ein positives Körpergefühl zu haben.
Diesen Instagram-Motivationsspruch muss man erst einmal sacken lassen. Ja, es stimmt, dass unsere Gesellschaft teilweise Anforderungen an unseren Körper stellt, denen wir schwer gerecht werden können. Sei es das nach wie vor immer noch überwiegende Schönheitsideal gertenschlanker Models, die diese Figur nur durch gesundheitsschädigende Nulldiäten erreichen und oft mit der Zeit klinisch magersüchtig werden. Natürlich ist es hier besser, dafür zu sorgen, ein „positives Körpergefühl“ zu haben – im Zweifel ein paar Fettpolster zu akzeptieren, im Wissen, dass diese Figur eben die eigene ist und ein dünnerer Körper nur auf Kosten der eigenen Gesundheit und des Lebensgefühls erreicht werden könnte. Das (und das verdreht der ZDF-Beitrag komplett) bedeutet doch aber genau nicht, dass man seinen Körper mit Gewalt dem Bild in seinem Kopf anpasst – so wie es der Bein-Amputierte getan hat – sondern, dass man die eigenen Vorstellungen von seinem Körper hinterfragt und lernt, seinen Körper wohlwollend zu behandeln. Dass man eben sein Körpergefühl (das Gefühl im Körper!) verstärkt und nicht die im Kopf geisternde Vorstellung seiner selbst.
Anderen Körper-Misshandlungen wird Tür und Tor geöffnet
Die Umdefinierung des Begriffs „Körpergefühl“ der ZDF-Doku ist nicht nur objektiv Blödsinn, sie ist auch gefährlich. Denn genau mit dieser Argumentation, dass man den Körper an das im Kopf herrschende Bild anpassen müsse, werden allen möglichen lebensverändernden Körper-Misshandlungen Tür und Tor geöffnet. Im ZDF-Beitrag selbst wird erwähnt, dass manche Menschen sich als blind definieren und deswegen absichtlich das Augenlicht auslöschen lassen. Man könnte auch sagen, dass zu einem gewissen Teil Geschlechtsumwandlungen aus derselben Idee entstehen: Anstatt zu hinterfragen, warum man sich nicht mit dem nun mal angeborenen Geschlecht identifiziert, also möglichen psychischen Konflikten und Störungen auf den Grund zu gehen, wird immer öfter argumentiert, dass man sich „eben so fühle“ – und man diesem Gefühl eben nachgeben müsse, indem man sich beispielsweise die Brüsten abschneiden und aus einem Stück Unterarmhaut eine Penis-Nacharmung formen lässt.
Genau das ist aber eben kein KörperGEFÜHL. Es ist eine gewaltsame, gegebenenfalls krankhafte Idee, der immer mehr Ärzte und Psychologen mehr Gewicht geben, als ihrer eigentlichen Aufgabe, ihrem Patienten zur körperlichen und psychischen Gesundheit zu verhelfen. Die beschriebene ZDF-Dokumentation unterstützt dieses Prozess.