- Eine Konferenz der französischen Nationalen Akademie der Medizin beschäftigte sich mit „Gain-of-Function“-Experimenten und deren möglicher Verbindung zum Ursprung des Corona-Virus.
- Forscher Marc Éloit fand ein Virus in Fledermäusen, das Sars-CoV-2 am engsten verwandt ist, aber genau die Furin-Spaltstelle fehlt, an der im Wuhaner Institut für Virologie geforscht wurde.
- VirologePatrick Berche hält es für „unerklärlich“, dass in drei Jahren kein überzeugender Beweis für einen natürlichen Ursprung gefunden wurde.
- „Gain-of-Function“-Experte Wain-Hobson attackiert das Versagen akademischer Gesellschaften „überall in Europa“ und fordert ein Ende der riskanten Forschungsmethode.
Nachdem US-Behörden wie das amerikanische Energieministerium (das auch Bio-Labore unterhält) und das FBI bereits zur Auffassung gekommen sind, dass COVID-19 aus einem Labor in Wuhan, China ausbrach tendiert jetzt auch die französische Nationale Akademie der Medizin zu einem solchen Schluss.
Das französische Wochenmagazin Le Point beschreibt wie sich dort die Sicht auf den Corona-Ursprung geändert hat – und man die Debattenkultur zu Beginn der Pandemie rückblickend kritisiert. Anfang April fand bei der Akademie eine Veranstaltung mit dem Titel „Vom Ursprung von Sars-CoV-2 bis zur gefährlichen Virologie/Biologie“ statt.
Die Vorträge zweier Referenten, des ehemaligen Direktors des Institut Pasteur in Lille, Patrick Berche und seines Virologen-Kollegen, Simon Wain-Hobson, drehten sich um sog. „Gain-of-Function“-Experimente, bei denen Viren oder Bakterien gezielt genetisch verändert werden, um ihre Übertragbarkeit oder andere Eigenschaften zu erhöhen.
Sinneswandel: Die AIDS-Virus-Spezialistin Christine Rouzioux eröffnete die Konferenz mit den Worten: „Es ist wirklich wichtig, die Debatte über den Ursprung dieser Epidemie anzuregen“. Bemerkenswerter Weise war die erste dann erwähnte Hypothese die eines im Labor modifizierten und dann durch ausgebrochenen Corona-Virus. Diese galt, auch lange noch in Europa, als Verschwörungstheorie. Rouzioux erwähnt die im Mainstream gängige These zum natürlichen Ursprung erst nachrangig.
Und um die erstgenannte Laborthese drehte sich auch größtenteils das Programm: Virologe Marc Éloit vom Institut Pasteur verwies auf seine Forschung in Laos 2021, wo er Viren in Fledermäusen untersuchte. China verbietet Untersuchungen zum Corona-Ursprung, sodass Éloit auf das südliche Nachbarland auswich. Er stieß bei seiner Forschung auf das Virus Banal-52, das bisher am engsten mit dem Corona-Virus verwandt ist.
Das Bemerkenswerte dabei: Auch diesem engen Verwandten von COVID-19 fehlt die sog. Furin-Spaltstelle, die Sars-CoV-2 so ansteckend macht. Und alle anderen mehr als hundert Viren der Sars-Familie haben auch keine Furin-Spaltstelle – sie ist ein Sonderfall von Sars-CoV-2. Das Team von Marc Éloit versuchte daher zu verstehen, wie die Furin-Spaltstelle entstehen konnte und experimentierte mit genetisch modifizierten Labormäusen. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Furin-Spaltstelle nicht durch häufigen menschlichen Kontakt zu Fledermäusen entstehen konnte.
Éloit konnte nicht herausfinden, wie ein Virus, dessen engste Verwandte sich in Laos und der chinesischen Nachbarprovinz Yunnan konzentrieren, plötzlich mehr als 1.000 Kilometer entfernt in Wuhan auftauchen konnte – wo zufällig auch Chinas prominentestes Biolabor an Corona-Viren forschte.
Natürlicher COVID-19-Ursprung „unerklärlich“
Sein Nachredner Patrick Berche wurde deutlicher: Er hält es für „unerklärlich“, dass seit drei Jahren kein überzeugender Beweis für eine natürliche Entstehung gefunden werden konnte.
Hintergrund: Wenn das Virus vor seiner Entdeckung in Wuhan zirkuliert wäre, hätten chinesische Krankenhäuser Fälle von grippeähnlichen Erkrankungen und Lungenentzündungen im Vorfeld erfassen müssen. Wenn die Epidemie ihren Ursprung in der Viehzucht und im Tierhandel hatte, hätte sie laut Berche außerdem durch mehrere Ausbrüche auftreten müssen, die auf mehreren Märkten und Farmen verstreut waren.
Dies war bei früheren ähnlichen Viren der Fall, dem Sars von 2003 und dem Mers von 2012. „Vor [Wuhan] wurde kein Ausbruch gemeldet. Wenn Tiere, die auf diesem Markt verkauft wurden, Träger des Virus waren, sind sie trotzdem Hunderte von Kilometern gereist, ohne anderswo einen Fall zu machen?“, fragt der Virologe.
„Akademische Gesellschaften haben überall in Europa versagt“
Demgegenüber sprächen für den Forscher mittlerweile zahlreiche Argumente für einen Laborursprung, allen voran die geografische Nähe zu Wuhans Institut für Virologie. Berche hob insbesondere die Enthüllung eines internationalen Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit dem Wuhan Institute of Virology im Jahr 2021 hervor, das Projekt „Defuse“:
Brisant dabei: Das Projekt zielte unter anderem darauf ab, ebenjene Furin-Spaltstellen in Viren der Sars-Familie einzubauen, deren Ursprung bei Sars-CoV-2 so im Dunkeln liegt.
Dementsprechend warnte der Experte für „Gain-of-Function“-Experte, Simon Wain-Hobson, vor den Gefahren solcher Forschung. Angesichts des Mangels an Debatten in den großen Institutionen vieler europäischen Länder trotz der SARS-Ausbrüche der 2010er Jahre zog er eine niederschmetternde Bilanz: „Akademische Gesellschaften haben überall in Europa versagt“, mahnte er und forderte einen Stopp der riskanten Forschungsmethode.