Den Parlamentarismus beleben wollte die neue Regierungskoalition. Doch jetzt peitscht die Ampel immer mehr Gesetze im Eilverfahren durch das Parlament. Selbst die Bundestagspräsidentin rügt: Die Ampel sei dabei, den Parlamentarismus auszuhöhlen.

Die Deutlichkeit, in der sich Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) an die Ampel-Koalition und das Kanzleramt wendet, überrascht. Ungewohnt scharf kritisiert die Politikerin die Regierungsfraktionen. Der Grund: Die Koalition peitscht immer mehr Gesetze im Eilverfahren durch das Parlament.
Die Oppositionsfraktionen hätten sich bereits mehrfach über eine zu kurzfristige Befassung im Parlament beklagt. Damit gebe es keine ausreichenden Beratungsmöglichkeiten zu Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung, bemängelte Bas. „Trotz der regelmäßig erfolgten Zusicherungen der Vertreterinnen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen lässt eine in dem gebotenen Maße erforderliche Rückkehr zu ordentlichen Abläufen auf sich warten“, rügt die Bundestagspräsidentin in ihrem Brief an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, über den die FAZ berichtet.
Bas‘ Ansage ist richtig – und überfällig
Was Bas am Ende des Briefes feststellt, ist zwar noch zurückhaltend formuliert – doch die Aussage ihrer Aufforderung hat Sprengkraft. „Wir dürfen nicht zulassen, dass der Deutsche Bundestag als zentrales Verfassungsorgan und damit auch das Vertrauen in die repräsentative Demokratie geschwächt werden“, mahnt die Bundestagspräsidentin. Was wie ein demokratischer Allgemeinplatz klingt, ist in Wahrheit eine mächtige Klatsche der protokollarisch immerhin zweitmächtigsten Politikerin unseres Landes: Die Ampel untergräbt die parlamentarische Demokratie!
Diese Bas-Ansage ist richtig – und überfällig. Seit Monaten bereits tritt die Ampel-Koalition den Parlamentarismus, den Umgang demokratischer Parlamentarier untereinander und den Diskurs im Plenum mit Füßen.
Dabei war die Ampel mit ganz anderen Ansprüchen gestartet: Nach der Corona-Pandemie und den unparlamentarischen Exekutiv-Beschlüssen der Merkel-Regierung, bei denen das Parlament de facto kaltgestellt wurde, wollte die Ampel alles anders machen. Mit groß inszenierten Debatten im Parlament wollte man die Entscheidungen in die Hände des Bundestages zurücklegen, den Parlamentarismus stärken. „Parlament, Debatte und Beschluss – das ist das, was wir machen“, erklärte Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt im November 2021. Knapp Anderthalb Jahre später ist davon nur noch wenig übrig. Ein wenig Parlament, ein ganz bisschen Debatte und am Ende vor allem der überschnelle Beschluss ist jetzt das Motto der Ampel – das ist auch der Befund der Bundestagspräsidentin.
„Arroganz der Macht“
Eine „Arroganz der Macht“ warf die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär den Koalitionsfraktionen im Bundestag vor wenigen Monaten vor. Sie dürfte damit den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Die Beispiele für diese Arroganz häufen sich mittlerweile. Angefangen mit der Änderung der Sitzordnung des Bundestages – man schob die CDU/CSU nach Rechts ab – wurde von hämischen Kommentaren der Regierenden begleitet. „Eine Partei, die Hans-Georg Maaßen als Kandidat für den Deutschen Bundestag aufstellt, hat ihren Platz in der Mitte des Parlaments für lange Zeit verwirkt“, verkündete die JuLi-Chefin Franziska Brandmann. Die willkürliche Entscheidung, die Sitzordnung im Bundestag zu verändern, wurde mit allerlei Beschimpfungen der größten Oppositionsfraktion begründet und begleitet. Vielleicht ist diese Sitzordnung an und für sich unwichtig – doch die Art und Weise, wie die Ampel damals mit der CDU/CSU umsprang, sollte das parlamentarische Klima der nächsten Monate definieren.
Die selbstherrliche Ampel schadet dem Bundestag
Weiter ging es mit dem Beginn des Ukraine-Krieges: SPD und Grüne, die sich jahrelang gegen eine Stärkung der Bundeswehr gestellt hatten, waren für das geplante „Sondervermögen“ und die dazugehörige Grundgesetzänderung plötzlich auf die Mithilfe der ungeliebten Opposition angewiesen – so ist das nunmal in der parlamentarischen Demokratie. Anstatt aber eine dem Thema angemessene gemeinsame Haltung zu entwickeln, droschen die Ampel-Parteien im gesamten Prozess immer weiter auf die CDU/CSU ein, die es hin und wieder gewagt hatte, eigene Forderungen einzubringen. Es müsse dauerhaft mehr Geld für die Bundeswehr geben, forderte die Oppositionsführung damals zum Beispiel – und erinnerte damit eigentlich nur an die Worte des Bundeskanzlers, der genau das angekündigt hatte. Doch die Ampel-Parteien gifteten direkt mit Vorwürfen drauf los, anstatt die Debatte ernst zu nehmen: Die Union würde den parlamentarischen Prozess aufhalten, hieß es damals. In herrischem Ton forderten Vertreter der Koalition, von der damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bis zu Vertretern der FDP, die Union solle still und leise der Ampel ihre Mehrheit verschaffen. „[Ich erwarte], dass Sie diesem Sondervermögen zustimmen!“, schrie der FDP-Abgeordnete Karsten Klein der Union entgegen – unter Applaus auch der Fraktionen, die jahrelang gegen eine bessere Ausstattung der Bundeswehr agitiert hatten. Als die CDU/CSU forderte, dass das Geld des Sondervermögens tatsächlich nur der Bundeswehr zugutekommen dürfe, nahmen die Ampel-Fraktionen diese Forderung nicht ernst, sondern pöbelten sie erneut nieder.
Ich möchte hier keinesfalls für die Union in die Bresche springen: Immerhin waren es CDU und CSU und die von Ihnen geführte Bundesregierung, die mit ihrer antiparlamentarischen Corona-Politik der Exekutiv-Kungelrunden im Kanzleramt überhaupt den Präzedenzfall für das schuf, was die Ampel jetzt fortführt – die sträfliche Missachtung des Parlaments. Aber gerade die Ampel, die mit so hohen Ansprüchen gestartet ist, sollte das schleunigst ändern – sonst droht schwerer Schaden für die Herzkammer unserer Demokratie. Da hat die Bundestagspräsidentin recht. Die fortwährend zur Schau gestellte Missachtung des parlamentarischen Prozesses ist einer parlamentarischen Demokratie unwürdig.