Forscht Pfizer mit gefährlichen Gain-of-function-Experimenten, wie ein Mitarbeiter auf einem kürzlich erschienenen Video ausplauderte? Oder entkräftet die Stellungnahme des Unternehmens die Vorwürfe? Wir haben zwei Experten gefragt.

Die Stellungnahme von Pfizer zu den Interna, die ein Mitarbeiter des Unternehmens kürzlich vor versteckter Kamera ausplauderte, wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich. Der Mann hatte freimütig erzählt, sein Unternehmen lasse für die Entwicklung neuer Impfstoffe das SarsCov2-Virus in Affen mutieren, um es „stärker” zu machen.
Drei Tage nach Veröffentlichung erklärte das Pharmaunternehmen: „Im Rahmen der laufenden Entwicklung des Impfstoffs gegen Covid19 von Pfizer-BioNTech hat Pfizer weder Gain-of-function- noch gezielte Evolutionsforschung betrieben”, um dann wenig später einzuschränken: „In seltenen Fällen… kann ein solches Virus so manipuliert werden, dass eine Bewertung der antiviralen Aktivität in Zellen möglich ist.”
„Tatsächlich eine Art Gain of Function“
Doch was bedeutet das genau? Selbst Experten tun sich mit einer Einordnung schwer. „Ich kann zu dem, was Pfizer macht, nur aus Sicht des Arzneimittelentwicklers spekulieren, sagt Pharmakologe Christian Wolf. „Wahrscheinlich wird es im weitesten Sinne tatsächlich eine Art Gain of Function sein, allerdings nicht mit dem Ziel, wirklich “gefährlichere” Varianten zu erzeugen. Bei der Arzneimittel-Entwicklung sind solche Versuche gängig, man möchte damit versuchen, mögliche Entwicklungen natürlicher Varianten zu antizipieren.“
Bei den Experimenten, von denen der Pfizer-Mitarbeiter berichtete, könnte es sich also um Versuche handeln, mit denen die Resistenz gegen das eigene Medikament getestet wird. Streng genommen wären sie als eine Form von „Gain of Function“ einzuordnen, allerdings wird dabei nur die Funktion eines einzelnen Medikaments erprobt.
Auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit erklärt, es sei durchaus üblich, bestimmte Gene in das Virusgenom zu integrieren, um ein Virus besser untersuchen zu können. „Ich kann zum Beispiel ein bestimmtes Reportergen einsetzen, um das Virus besser analysieren zu können.“
Beide Experten erkennen keinen großen Skandal in den Interna, die der Mitarbeiter einer wahrscheinlich vorstandsnahen Stabsfunktion ausgeplaudert hat. Pharmakologe Wolf sagt: „Gain of function ist eine legitime virologische Arbeitsweise, die jedoch zwei Knackpunkte hat: Oft überschätzen wir unserer gegenwärtigen Möglichkeiten, aus dem Wissensgewinn wirklich therapeutisch oder prophylaktisch zu profitieren. Und zweitens: die Gefahr der Freisetzung durch Laborvorfälle.“
„Gain-of-function“-Forschung ist eine biomedizinische Methode, in der Wissenschaftler Viren im Labor unter anderem ansteckender und gefährlicher machen können. Man will testen, wie sich die neuen Eigenschaften auf bestimmte Viren auswirken. Heikel: Im Zuge solcher Experimente wurden schon Viren hervorgebracht, die theoretisch Pandemien hätten auslösen können – was unter anderem in den USA zu Debatten führte, ob das Risiko der GoF angemessen sei. GoF ist auch der Grund, warum viele Menschen glauben, dass das Sars-Cov-2-Virus aus dem Labor stammt. Bereits 2014 war die Regulierung von GoF-Experimenten auch Thema im Deutschen Bundestag – am Ende wurde eine Einschränkung jedoch abgelehnt, da man der Wissenschaft Eigenverantwortung zugestehen wollte.