Atomausstieg, erleichterte Migration, Cannabis-Freigabe – viele Entscheidungen der deutschen Politik haben Folgen für die europäischen Nachbarländer. Rücksicht nimmt die Mittelmacht Deutschland trotzdem nicht. Motto: Europa ist, was Deutschland will.
In den Sonntagsreden gibt sich die Bundesregierung stets als leidenschaftlicher Europäer, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schwärmte unlängst in Davos gar von einem europäischen Bundesstaat. Doch unter der Woche schert sich Berlin wenig darum, ob die Folgen deutscher Politik auch die Nachbarn betreffen. Motto: Europa ist, was Deutschland will.
Beispiel Atomausstieg: Deutschland schaltet eine wetterunabhängige (grundlastfähige) und CO2-freie Form der Energieerzeugung ab, will aus Stromerzeugung aus Kohle ebenfalls aussteigen und verlässt sich bei Dunkelflauten auf das europäische Energieverbundnetz der Nachbarn. Deutschlands massive Gas-Käufe treiben auch den anderen Europäern die Gastpreise hoch, und die stark schwankenden Energiemengen aus Sonne und Wind müssen ebenfalls mit Hilfe der Stromnetze rings um Deutschland ausgeglichen werden. Ist all das mit den Nachbarländern abgesprochen? Mitnichten. Im Gegenteil: Als es um die so genannten Taxonomien für förderwürdige Energien in der EU ging, wollte Deutschland Kernkraft auch für alle anderen ächten und Gas zum „grünen“ Energieträger deklarieren. Europa ist, was Deutschland will.
Beispiel Migration: Die Bundesregierung will Deutschland attraktiver für Zuwanderer machen. Vor der Hand nur für Fachkräfte, aber auch für solche Migranten, die keine Qualifikation haben und diese erst noch in Deutschland erwerben wollen. Mit dem so genannten Spurwechsel können Migranten als Asylsuchende ins Land kommen und im Falle der Ablehnung mit einem Job als Arbeitsmigranten bleiben. Die Identitätsfeststellung soll einfach per Unterschrift erfolgen, und auch die deutsche Staatsbürgerschaft soll es schon nach drei Jahren unkompliziert geben (bisher nach mindestens fünf Jahren). Deutschland, wer kann dazu schon nein sagen!? Unsere Nachbarn werden durch diese Politik ungefragt zu Transitländern und könnten durch die Freizügigkeit im Schengen-Raum auch Zielländer der Migranten werden. Gute Europäer würde eine solche Politik, die Folgen auch für andere hat und den ganzen Kontinent für Migranten attraktiver macht, mit allen absprechen. Doch auch hier gilt: Europa ist, was Deutschland will.
Beispiel Cannabis-Freigabe: Deutschland will den Besitz von 25 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf und auch begrenzten Eigenanbau der Droge erlauben. Für Nachbarländer, die das strenger handhaben wird das Folgen haben. Das Beispiel Kanada hat gezeigt, dass die Cannabis-Legalisierung den Schwarzmarkt und -handel keineswegs zurückgedrängt, es aber stark erschwert hat, Dealer und illegalen Besitz zu verfolgen. Der Kleingärtner in der Mitte Europas lädt zur Party und alle anderen müssen mitfeiern. Europa im Herzen und Ego im Kopf. Europa ist, was Deutschland will.