
Der Hausärzteverband Schleswig-Holstein schlägt Alarm: Es fehlen bis zu 1.000 Medikamente. Von dem Engpass sind neben freiverkäuflichem Ibuprofen auch Arzneien betroffen, die für bestimmte Patienten überlebensnotwendig sind.
Lieferengpässe bei Medikamenten setzen Hausarztpraxen schon seit Monaten unter Druck. Fast täglich müssen niedergelassene Ärzte inzwischen überprüfen, welche Medikamente aktuell zur Verfügung stehen. „Das kann bei der Behandlung von Bluthochdruck oder von bakteriellen Infektionen schon eine medizinisch unangenehme Situation sein, für die es derzeit aber keine andere Lösung gibt”, berichtet der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Schleswig-Holstein, Jens Lassen. Es komme durchaus vor, dass Patienten in der Apotheke abgewiesen werden, weil die verschriebenen Medikamente nicht vorhanden sind.
Doch nicht nur Schleswig-Holstein ist von dem Medikamentenmangel betroffen, deutschlandweit fehlen Medikamente. „Ich bin jetzt seit zehn Jahren selbstständig, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt”, berichtet Franziska Utzinger, Sprecherin der Apotheken im Landkreis Neu-Ulm der Neu-Ulmer Zeitung.
Ein brisanter Fall kommt aus Bayern, dort hat Petra Carlile, eine Patientin mit angeborenem Immundefekt, auf ihrer Website an den Gesundheitsminister gewendet. „Sehr geehrter Herr Bundesminister, sollen Menschen mit Immundefekt für Sie sterben?”, schrieb sie dort. Fast ein halbes Jahr war das für sie überlebenswichtige Immunglobulin Cutaquig nicht verfügbar.
Die Lage für Petra und schätzungsweise 20.000 weitere Patienten war in dieser Zeit denkbar bedrohlich: Für Menschen mit einem angeborenen Immundefekt kann jede Infektion tödlich enden. Laut der Patientenorganisation für angeborene Immundefekte (DSAI) sind rund 70 Prozent aller Patienten mit Immundefekt auf Cutaquig eingestellt. Ein Wechsel birgt Gefahren wie allergische Reaktionen mit sich und muss individuell betreut werden. „Wir haben weinende Patienten am Telefon, aber auch Mütter, die einfach auch Angst um das Leben ihrer Kinder haben”, berichtete die Bundesvorsitzende von DSAI dem BR noch im Oktober.
Die Ursachen des Medikamentenmangels sind vielfältig, unter anderem sind in der Corona-Pandemie Lieferketten durcheinander geraten, die sich immer noch nicht erholt haben. Außerdem sind viele Medikamentenhersteller auf Wirkstoffe aus China angewiesen, das aufgrund seiner anhaltenden drastischen No-Covid-Politik immer wieder nicht liefern kann.
Die deutsche Politik verschlimmert die Lieferengpässe zusätzlich: 2010 hat die Bundesregierung zur Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen ein sogenanntes Preismoratorium für Medikamente eingeführt. Die meisten Arzneimittelpreise müssten seitdem auf dem Niveau von 2009 gehalten werden. Das heißt faktisch: Viele Medikamente werden zwar weiterhin produziert, jedoch nicht in Deutschland vertrieben, da ihr Verkauf für die Hersteller hier nicht wirtschaftlich ist. Allein neue Medikamente, die nicht denselben Wirkstoff oder dieselbe Verabreichungsform wie ein Vorgänger haben, sind von dieser Regelung ausgeschlossen.
Immerhin: Patienten mit angeborenem Immundefekt können nun aufatmen. Eine öffentliche Kampagne der betroffenen Patienten hat Wirkung gezeigt. Das Unternehmen Octapharma und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkasse konnten sich – auch durch Druck des Gesundheitsministeriums – auf einen Preis einigen. Zusätzlich plant das Ministerium eine gesetzliche Änderung, welche Immunglobulin-Präparate menschlicher Herkunft vom Preismoratorium befreien soll. „Die Erleichterung ist groß“, berichtet eine Patientin den Lübecker Nachrichten.