- Der Fall des aggressiven Vaters, der einen 15-jährigen Schiedsrichter in Frankfurt mit dem Tod bedrohte, ist im Jugendfußball keine Ausnahme.
- Beleidigungen, Drohungen und gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Spielern, Trainern und Angehörigen sind überall in Deutschland längst zum Alltag der Jugendspiele geworden – und enden nicht selten im Krankenhaus.
- Untersuchungen zeigen, dass schwere Gewalt überproportional häufig von Spielern mit Migrationshintergrund ausgeht.
Am Wochenende hat ein Fussballspiel der C-Jugend in Frankfurt am Main für große Empörung gesorgt: Der Vater eines Spielers lief nach der Niederlage seiner Mannschaft zu dem 15-jährigen Schiedsrichter und bedrohte ihn mit dem Tod – „Ich köpfe dich. Ich ficke deine Mutter“, soll der 48-Jährige zu dem Jungen gesagt haben. Es ist ein Vorfall, der einen sprachlos zurücklässt und doch ist er, von der konkreten Drohung des Köpfens abgesehen, keine Ausnahme. Im Gegenteil: Der Jugendfußball hat seine Unschuld schon vor Jahren verloren – auf den Plätzen Deutschlands ist die Gewalt längst Normalität.
47-Jähriger würgt 14-jährigen Spieler und zieht Messer
Fast genau ein Jahr vor der Attacke auf den jungen Schiedsrichter war ein türkischer Vater in Berlin kurz davor, eine ähnliche Drohung gegen einen ebenfalls nur 14 Jahre alten Spieler wahrzumachen. Bei einem Spiel der C-Junioren des Berliner AK und des SC Staaken auf dem George-Floyd-Sportplatz am Poststadion foulte der Junge einen seiner Gegenspieler und wurde dafür vom Schiedsrichter verwarnt. So weit so normal – doch dann rannte plötzlich der 47-jährige Vater des Gefoulten auf das Spielfeld, riss den 14-Jährigen zu Boden und würgte ihn. Als Eltern und Betreuer dem jungen Mann zu Hilfe eilten, zog der 47-Jährige ein Messer und soll „Ich stech dich ab!“ gerufen haben. Dann machte er Hiebbewegungen in Richtung der Helfer. Nur das beherzte Eingreifen beider Trainer konnte Schlimmeres verhindern.
Attacken von Eltern sind längst keine Einzelfälle mehr: Im November 2013 rannte ein Vater im schwäbischen Mengen während eines B-Jugend-Spiels auf den Rasen und trat dem 16-jährigen Schiri so heftig mit dem Knie in den Unterleib, das der junge Mann ohnmächtig wurde – er musste ins Krankenhaus gebracht werden. Ein weiterer ähnlicher Vorfall ereignete sich im Oktober 2019 im nordrhein-westfälischen Moers. Ein Vater stürmte während des B-Jugend-Fußballspiel seines Sohnes auf den Platz und schlug einem 15-jährigen gegnerischen Spieler mit der Faust ins Gesicht – der Jugendliche musste mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden.
Und auch im März dieses Jahres wurde wieder ein Vater tätlich: Beim U19-Niedersachsenligaspiel des SC Hemmingen-Westerfeld gegen den SV Viktoria 08 Georgsmarienhütte wurde er schon während des Spiels vom Platz verwiesen, wartete auf den Schlusspfiff. Als die Spieler der Gegnermannschaft seines Sohnes den Platz verließen, griff er einen von ihnen an – er schlug dem jungen Mann mit der Faust gegen die Schläfe.
Jugendliche prügeln Gegenspieler ins Krankenhaus
Die Gewalt kommt jedoch nicht nur von den Angehörigen, sie ist allgegenwärtig – und geht häufig von den Jugendlichen selbst aus. Im September 2019 prügelten in der C-Jugend Spieler des TSV Burgdorf einen Gegenspieler des SV Fuhrberger zu Boden und traten mit Stollenschuhen auf den Jungen ein. Zwei Wochen später prügelten Spieler der selben Mannschaft einen 13-jährigen Spieler der Mannschaft FC Lehrte ins Krankenhaus.
Im September 2021 eskalierte ein Jugendfußballspiel in Leiblfing (Landkreis Straubing-Bogen): Zwei 14-jährige Spieler stritten sich wegen eines Fouls, bis der eine seinen Kontrahenten schließlich mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlug. Der Junge wurde anschließend ins Krankenhaus gebracht.
Im Mai 2022 wurde der Torwart der B-Jugend vom FC Motor Süd Neubrandenburg von Spielern des TSV Friedland 1814 angegriffen – sie schlugen dem 17-Jährigen mehrfach gegen den Kopf und nahmen ihn in den Schwitzkasten. Der junge Mann wurde bewusstlos und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, danach litt er unter einer Gehirnerschütterung, einer Schädelprellung und Gedächtnislücken.
Vier Monate später beleidigte ein 16-Jähriger beim Jugendfußball-Pokalspiel in Neu-Ulm die 25-jährige Schiedsrichterin. Als diese ihn vom Platz verwies, schlug er ihr ins Gesicht.
„Du räudiger Hurensohn“, „Judenschwein“
Noch viel häufiger als direkte körperliche Auseinandersetzungen sind wüste Beleidigungen – sie scheinen fester Bestandteil eines jeden Spiels. Der Tagesspiegel präsentierte 2020 mal eine kleine Auswahl der Beschimpfungen währen eines beliebigen C-Jugendspiels in Berlin, also bei 13- und 14-Jährigen. Es hieß: „Du räudiger Hurensohn“, „Halt die Fresse, Du Schwanzlutscher“, „Du Bastard“, „Du Wichser“ oder auch „Nach dem Spiel werde ich Dich töten“.
Besonders schlimm ist es, wenn einer der deutsch-jüdischen Vereine Makkabi spielt, denn dann scheinen antisemitischen Beleidigungen keine Grenzen mehr gesetzt zu sein. 2017 fielen von Betreuern und Spielern des Vereins Griesbach 02 Sätze wie diese gegen Spieler und Zuschauer von Makkabi Berlin: „Wir stechen euch ab!“, „Ich breche Dir die Nase!“, „Judenschwein!“, „Ich schlitze dich auf!“ oder „Euch hat man vergessen, zu vergasen!“
Auffällig ist der Hass aus Reihen muslimisch-arabischer Spieler. Alon Meyer, Präsident vom Dachverband Makkabi Deutschland und Makkabi Frankfurt, sagte schon 2018, dass die Judenfeindlichkeit schon lange nicht mehr von rechtsgerichteten Gruppierungen komme, sondern verstärkt von Gegnern mit muslimisch-arabischem Hintergrund – das betreffe vor allem die Jugend-Klassen. „Es fängt an bei judenfeindlichen Parolen“ wie „Drecks-Jude“, „Schiedsrichter, zieh dein Judentrikot aus“ und „Juden ins Gas“ und „ging bis hin zu Handgreiflichkeiten und Messerattacken“, so Meyer.
Gewalt überproportional von Spielern mit Migrationshintergrund
Inzwischen zeigen Untersuchungen, dass die Gewalt auf dem Fußballplatz nicht nur bei Spielen gegen jüdische Vereine vor allem von Spielern mit Migrationshintergrund ausgeht. Die Kriminologin Thaya Vester kam in einer Studie zu den Spielzeiten 2009/10 und 2010/11 zu dem Ergebnis, dass bei besonders schweren Vorfällen wie Angriffen auf den Schiedsrichter oder Spielabbrüchen Spieler mit Migrationshintergrund überproportional oft Täter sind. Demnach stellten sie damals zwar nur etwa ein Drittel aller auffällig gewordenen Spieler, waren aber an jedem zweiten besonders schweren Fall beteiligt.
Eine Studie des Sportwissenschaftler Gunter A. Pilz aus dem Jahr 2002 zeigte ähnliche Ergebnisse: Er konnte anhand von 4.000 Akten und Urteilen des Niedersächsischen Fußballverbandes der Saison 1998/99 feststellen: „Je schwerwiegender der Straftatbestand, desto häufiger sind Spieler beteiligt, die nicht deutscher Abstammung sind.“ Die Gewalt richte sich außerdem besonders häufig gegen Schiedsrichter.