
Pleiteticker-Kommentar
Von Willi Haentjes
Brot ist eines der letzten Dinge in diesem Land, über das wir mit Stolz die schönsten drei Worte der Welt sagen können: „Made in Germany“.
Und diese drei Worte sind in akuter Gefahr: Es herrscht Alarmstufe Brot! Ein Bäcker nach dem anderen gibt auf. Hinter diesen Pleiten stehen nicht nur bittertraurige Einzelschicksale, sondern eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft. Denn mit jedem Bäcker stirbt ein Stück Deutschland.
Zwei Wochen Urlaub im Ausland reichen, um ein ordentliches Brot mit einer knackigen Kruste zu vermissen. Mit echten Körnern und einem fluffigen Innenleben. Nicht dieses weiße Pressbrot, wie es die Amerikaner oder Holländer fabrizieren.
Deutsches Brot ist mehr als ein einfaches Lebensmittel, es ist ein Kulturgut. Eine Institution. Ein Gefühl von Heimat. Brot ist Teil der deutschen Seele. Jedes noch so kleine Dorf hat seinen eigenen Bäcker – manche sogar zwei, wo es dann eine Art Glaubensentscheidung ist, bei wem Sie Ihre Brötchen kaufen. Egal, für welchen Bäcker Sie sich entscheiden: Der Moment, wenn sich die Ofentür öffnet und der ganze Raum nach frischen Brötchen duftet, macht glücklich.
Wir haben sogar eine ganze Mahlzeit nach unserem Brot benannt! Frühstück, Mittagessen – Abendbrot. Und jede Familie hat ihre ganz eigenen Abendbrot-Traditionen. Brot „Made in Germany“ und das damit verbundene Handwerk wird von der Unesco als Weltkulturerbe geführt. Weltkulturerbe!
Denken Sie daran, wenn Sie in diesen Tagen von den Bäcker-Pleiten lesen: Die ganze Welt beneidet uns um diese Tradition! Die Bäckerei Sinzinger aus Otterskirchen bei Passau wurde 1591 gegründet. Was der Dreißigjährige Krieg, Napoleon und zwei Weltkriege nicht geschafft haben, schafft erst die Energiekrise: Die Bäckerei muss schließen.
Unser Brot ist in Not. Und die Regierung in der Pflicht. Rettet unsere Bäcker! Schafft einen Sondertopf, einen Rettungsschirm, stellt sicher, dass unser nobelstes Handwerk diesen Winter überlebt! Warum gibt es kein Bäckerschutzgesetz? Warum tun alle so, als sei es das Normalste von der Welt, wenn die Gas-Rechnung einen Meisterbetrieb nach dem anderen in die Insolvenz treibt?
Ja, viele Branchen leiden unter dieser Krise. Aber wenn die Bäcker einmal aus Deutschland verschwunden sind, kommen sie nicht mehr wieder. Nicht falsch verstehen: Wir werden dann nicht hungern, es wird weiter Brot geben. Aber eben nicht vom Bäckermeister, der um 3 Uhr in der Stube steht und die Brötchen formt. Sondern aus der Fabrik. Tschüss Handwerk, hallo industrielle Produktion. Das heißt auch: Tschüss Mensch, hallo Maschine.
Wenn SPD-Kanzler Olaf Scholz das mit dem „Respekt“ vor dem Handwerk auch nur ansatzweise so ernst meint, wie er gerne tut, dann schaut er nicht dabei zu, wie das Land seine Bäckereien verliert. Dann kümmert er sich ab sofort so um die Bäcker, wie sich die Bäcker täglich um ihren Teig kümmern: Rührend.