
Von Willi Haentjes
Aus, aus, aus, aus – das Spiel ist aus! Deutschland ist … völlig am Ende. Sportlich sowieso. Aber auch gesellschaftlich haben die Tage von Katar offengelegt, mit welcher maroden Arroganz wir Deutschen durch das Weltgeschehen spazieren.Hier sind die 10 Lehren aus dem Katar-Debakel – sportlich und moralisch.
1. Der Streit um die One-Love-Binde gehört zum traurig-dümmlichsten Kapitel der deutschen Sportgeschichte. Erstens war diese Binde nie ein mutiges Zeichen, sondern immer eine billig-abgeschwächte Form der „echten“ Regenbogen-Flagge. Zweitens ist der Binden-Rückzieher eine Form der Feigheit sondergleichen: Ein Zeichen nur dann zu tragen, wenn keine Konsequenzen drohen, ist kein Zeichen. Und drittens ist Innenministerin Faeser, die sich grinsend mit der Binde am Arm neben Fifa-Chef-“Korrupteur“ Infantino ablichten lässt, eine politische Peinlichkeit. Infantino lacht auf diesem Foto, das um die Welt ging, Deutschland und die Binde aus.
2. Wer 2:1 gegen Japan verliert, darf sich nicht darüber beschweren, wenn ein anderes Team 2:1 gegen Japan verliert. Die Rufe, die Spanier hätten uns im Stich gelassen, sind scheinheilig: Deutschland hätte hoffentlich genau so clever verloren, um dann als Gruppenzweiter einen leichteren Weg ins Finale zu haben.
3. Nichts in diesem Land war verlogener als die Boykott-Debatte. Nur ein Beispiel: Wer Katar im deutschen Fußball boykottieren will, darf kein Bayern-Trikot mehr tragen. Dort prangt fett „Qatar Airways“ auf dem Ärmel, die Bayern kassieren Millionen dafür, tausende Fans dienen dem Regime als lebendige Litfaßsäule. Das ist 34 Spieltage im Jahr ok, aber für vier Wochen WM dann ein Boykott-Grund? Vollkommen absurd.
4. Wer ohne einen Abwehrchef zur WM reist, muss sich nicht wundern, wenn die Abwehr führungslos durch die Spiele stolpert. Ein Tor kannst du immer kriegen, auch gegen Japan und Costa Rica. Wenn nach dem ersten Gegentor aber sofort kollektive Hummels im Hintern bekommen und panisch über den Platz irren, weißt du genau: Da ist niemand, der den Laden zusammenhält. Bei einer WM müssen die besten dabei sein. Aber gut, dass Armel Bella-Kotchap mal Turnier-Luft schnuppern durfte!
5. Große Überraschung: Ein islamistisches Regime findet Schwule und Lesben nicht gut! Dass jetzt bald drei Wochen nur über die vollkommen offenkundige katarische Homophobie diskutiert wird, kann als PR-Erfolg der Scheichs gewertet werden: Über das mittelalterliche Frauenbild, die hunderten toten Gastarbeiter und die Terror-Finanzierung in aller Welt spricht keiner mehr.
6. 82 Millionen Couch-Bundestrainer haben sich gefragt, warum Lukas Klostermann mit nach Katar fährt. Kein einziger wäre auf die Idee gekommen, ihn zur Halbzeit gegen Costa Rica einzuwechseln. Wenn du 1:0 führst (obwohl es 3 Tore mehr hätten sein können) und 8:0 gewinnen musst, um sicher weiterzukommen, und Lukas Klostermann einwechselst, hast du die Blamage schon abgehakt. Wer hoch gewinnen will, muss mutig wechseln, nicht sein Scheitern verwalten.
7. Hansi Flick hat nach eigenen Angaben „Spaß“ an seiner Arbeit – die Fans nicht. Das hat er unmittelbar nach dem Turnier-Aus im ARD-Interview mit der großartigen Esther Sedlaczek gesagt. Toll, dass Sie Spaß haben, Herr Flick! Ich habe eher Angst. Angst vor der Heim-EM 2024 mit einem Bundestrainer, der ohne erkennbares Defensiv-Konzept zur WM reist und am Tiefpunkt des deutschen Fußballs Wert darauf legt, „Spaß“ zu haben. Flick ist die personifizierte Außerkraftsetzung des Leistungsprinzips.
8. Noch schlechter als die Bilanz der deutschen Nationalmannschaft ist nur die Bilanz der deutschen Regierung. Erst kuschelte und buckelte (!) Wirtschaftsminister vor dem Emir, am Ende bekam er genau 2,8 Prozent der benötigen Gasmengen in Aussicht gestellt. Und das ab 2026. Die Grünen sind mit dem Versprechen einer „wertebasierten Außenpolitik“ angetreten, am Ende sind sie genau den globalen Krisenzwängen unterworfen, denen sie sich entziehen wollten. Wenn es um Gas geht, sind der Regierung ihre vollmundig propagierten Werte völlig egal.
9. Die DFB-Seilschaften müssen zerschnitten werden. Oliver Bierhoff ist seit 18 Jahren in leitender Funktion beim DFB. Er hat Deutschland zum WM-Titel strukturiert. Aber seit drei Turnieren ist sein Hauptjob: sportliches Debakel erklären und schönreden. Weil er es nicht geschafft hat, einen Umbruch einzuleiten. Auf Jürgen Klinsmann folgte als National-Trainer sein Co-Trainer Jogi Löw. Auf Löw folgte dessen ehemaliger WM-Titel-Assistent Hansi Flick. Der DFB schwimmt schon viel zu lange in seiner eigenen Suppe aus Nostalgie und treuen Seilschaften. Dieser Suppentopf gehört gesprengt, und zwar so schnell wie möglich. Für einen Neustart braucht es neue Köpfe auf allen Ebenen.
10. Weil meine Kollegen mich gebeten haben, nicht ganz so negativ zu sein, versuche ich es mit einem Hoffnungsschimmer zum Schluss: Dem letzten 4:2-Sieg gegen Costa Rica folgte ein rauschendes Sommermärchen. Die WM 2006. Im besten Fall kommt dieser Sommer ja in zwei Jahren. Bis dahin wird am deutschen Wesen die Welt garantiert nicht genesen – aber vielleicht haben wir ja wenigstens wieder einen Abwehrchef …