Von JULIAN REICHELT
Journalismus in Deutschland hat sich weit entfernt von der Beschreibung der Zustände. Stattdessen bekommen wir serviert, was wir glauben sollen. Journalisten geben sich kaum Mühe, das zu verschleiern, sie nennen es selber „Haltungsjournalismus“. Haltung heißt, dass Sie nicht erfahren, was ist, sondern was sein soll.
Der Journalismus steckt in Deutschland, wie in so vielen westlichen Demokratien, in einer tiefen Vertrauenskrise. Und zwar vollkommen zurecht. Wenn Sie in der Wahrheit des deutschen Journalismus leben, dann sind Hunderttausende Facharbeiter in ein Land geströmt, in dem wir Stahl- und Chemiewerke mit Wind und Sonne allein betreiben und eine geeinte Wissenschaft, der man folgen muss, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine nebenwirkungsfreie Impfung und hoch sinnvolle Corona-Maßnahmen uns vor Millionen Toten bewahrt haben. Sie alle wissen, dass dieses Land so nicht existiert, aber trotzdem wird es genauso in den deutschen Medien beschrieben.
Das Deutschland der Medien ist das Deutschland, das die Mächtigen gerne wollen.Nicht zu sagen, was alle sagen, zu hinterfragen, zu kritisieren, ist nicht nur riskant geworden, sondern auch eine Marktlücke im Journalismus. Wir füllen diese Lücke gerne für Sie, aber wir sind nicht allein. Auch die Neue Zürcher Zeitung, eine der ältesten und besten Zeitungen der Welt, beschreibt Deutschland so, wie Deutschland ist. Und nicht so, wie die Grüne Partei es hören will.
Wir haben in der NZZ einen Artikel gelesen, von dem wir glauben, dass Sie ihn kennen sollten, damit Sie wissen, wie man unser großartiges Land inzwischen aus dem Ausland, aus der neutralen, sehr gut funktionierenden Schweiz heraus betrachtet. Geschrieben hat ihn NZZ-Chefredakteur Eric Gujer. Der Artikel ist auf Seite 1 erschienen, die Überschrift lautet: Deutschland setzt seinen Ruf aufs Spiel.
Der Artikel beginnt mit folgenden Worten: „Die Deutsche Bahn und die Bundeswehr haben viel gemeinsam. Beide sind in jämmerlichem Zustand. Beide sind Opfer einer postmodernen Politik, die Deutschland wie ein Entwicklungsland aussehen lässt.
„Wie ein Entwicklungsland. Das sind harte Worte.Wenn Sie deutsche Medien verfolgen, sind das auch überraschende Worte. Werden wir nicht von aller Welt bewundert für unsere Effizienz, für unsere Pünktlichkeit, für großartige Produkte? Gehen wir nicht der ganzen Welt voraus mit unseren großartigen Ideen wie der Energiewende?
Deutsche Medien sind vor allem damit beschäftigt, unser Land, in dem Behörden immer noch über Faxgeräte miteinander kommunizieren, zum Maßstab für den Rest der Welt zu erklären. Deutsche Medien waren es, die es in der Corona-Pandemie geradezu herbeisehnten, dass in Schweden Menschen röchelnd auf der Straße ersticken, RAUS weil das Land den fanatischen Lockdown-Weg der Deutschen nicht folgen wollte. Deutsche Medien erfinden ein moralisch, politisch, gesellschaftlich und technologisch überlegenes Land, das es gar nicht gibt.
So sieht uns der Schweizer Eric Gujer: „Die Bundesrepublik war einmal ein Land, in dem die Züge pünktlich fuhren. Die Verwaltung war preußisch: manchmal obrigkeitsstaatlich, aber meistens effizient. Das war einmal.”
Dann kommt Eric Gujer auf das Staatsunternehmen zu sprechen, das wie kein anderes sinnbildlich für den Niedergang unseres Landes steht. Die Deutsche Bahn. Er schreibt: „Will man mit dem Zug nach Deutschland reisen, begibt man sich auf einen Hindernisparcours. Aber eigentlich ist dieses Wort noch eine Verharmlosung. Solange der ICE nur eine Stunde Verspätung hat, kann man sich glücklich schätzen. Manche Anschlusszüge verwandeln sich in Geisterzüge. Sie werden angekündigt, treffen aber nie ein (…). Steht der Zug, schneeweiß und beinahe eine überirdische Erscheinung, dann doch irgendwann am Gleis, lautet die Ansage todsicher: ,Wegen einer Stellwerkstörung zwischen Basel Badischer Bahnhof und Freiburg kann es zu Verspätungen kommen.‘ Die Deutsche Bahn schätzt die Möglichkeitsform. So behalten ihre Passagiere einen Rest an Hoffnung.”
Gujer vergleicht eine Fahrt in einem deutschen Zug mit einer Bahnfahrt in Indien und ruft uns zu: „Willkommen in der Dritten Welt, willkommen in Deutschland.“ Der NZZ-Chef beschreibt nicht nur die beschämende Lage in Deutschland im Jahr 2023. Er erklärt auch, wie es mit unserer eigentlich großartigen Heimat so weit kommen konnte: „Der allmähliche Abstieg hat sicher etwas damit zu tun, dass die so geschätzten wie gefürchteten deutschen Stärken Mitte der achtziger Jahre als Sekundärtugenden verhöhnt wurden, mit denen man ein KZ betreiben könne. Die Bundesrepublik fand damals zu sich selbst und befreite sich von vielen Traditionen – allerdings auch von manchen guten.“
Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Exakt diese Tugenden sind es, mit denen deutsche Politiker wie Konrad Adenauer und Helmut Schmidt unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder wirtschaftlich stark gemacht haben. Mit denen sie den guten Ruf Deutschlands in der Welt wieder hergestellt haben. Und mit deren Prinzipien die heutige Politikergeneration nicht nur nichts mehr anfangen kann – sondern die sie ihr ganzes Leben lang erbarmungslos bekämpft hat.
Der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung beschreibt präzise, welche dramatischen Folgen der Bruch mit diesen Tugenden hatte: „Die Politik verlor den Sinn für Prioritäten. Kernaufgaben des Staates wie die öffentliche Infrastruktur und die Verteidigung waren nicht mehr so wichtig.“
Der Verfall der klassischen deutschen Tugenden, das Erodieren der Grundlagen unseres Staates und unserer Gesellschaft – all das geschah seit der ersten Regierungsübernahme von Rot-Grün 1998 und den anschließenden 16 Merkel-Jahren schleichend.
Mit dem Regierungswechsel zu SPD, Grünen und FDP hat sich dieser Prozess dramatisch beschleunigt. Gujer schreibt:
“Statt alle Kraft auf die Sanierung der maroden Schienenwege zu konzentrieren, verschärfte die Koalition die Überlastung durch das Neun-Euro-Ticket (…). Der Staat wird mit Aufgaben überlastet, die er dann nur schlecht erfüllt (…). Die Politik debattiert ständig über Hartz IV, Mütterrente, Baukindergeld, Elternzeit, Doppelwumms und Bürgergeld, aber nur sehr selten über die Streitkräfte oder den Zustand der Infrastruktur.”
Das Gefährliche daran ist: Die überforderten Minister und Chefs der regierenden Parteien sind zutiefst überzeugt davon, dass sie mit all diesen Dingen auf dem richtigen Weg sind. Sie zeigen nicht den Hauch eines Zweifels. Und gerade diejenigen, die besonders radikal vorgehen, verkaufen sich als besonders nachdenkliche, selbstreflektierte Zeitgenossen.
Sie tun es beim KAMPF gegen den Klimawandel, das werden wir in den nächsten Jahren noch bitter erfahren. „Kampf“: Alleine dieser Begriff soll uns schon sagen, dass jede politische Maßnahme dagegen heldenhaft und damit in jedem Fall gut ist. Wenn der Untergang der Welt droht, ist bekanntlich jede Maßnahme erlaubt.
Das Ergebnis ist katastrophal? Ja! Aber Sie glauben ja gar nicht, wie katastrophal es gewesen wäre, wenn wir nichts getan hätten!
Sie tun es auch ganz besonders gerne bei ihrer wahnhaften Sorge um die angebliche Benachteiligung von allen möglichen Minderheiten. Sie verpacken ihre völlig fehlgeleitete Politik dabei in wohlklingende Begriffe, die ohne jede Substanz sind.